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  • Brandenburgischer Klosterweg

Zu Fuß von Kloster zu Kloster

Statt in Spanien kann man auch vor der Haustür pilgern. Eine schöne Erfahrung, wenn man von ein paar Durststrecken absieht

  • Ulrike Wiebrecht
  • Lesedauer: 7 Min.
Auf Pflastersteinen über herbstliche Alleen
Auf Pflastersteinen über herbstliche Alleen

Und wieder eine Ruine: Äste ranken sich um die durchlöcherten Mauern des einstigen Konventgebäudes, darüber nichts als blauer Himmel. Viel mehr ist vom Kloster Lindow nicht übrig geblieben. Im 13. Jahrhundert errichtet, gehörte es einst zu den reichsten Zisterzienserklöstern der Mark. Doch im Dreißigjährigen Krieg wurde es zu weiten Teilen zerstört. Später führte es ein Nachleben als hochadeliges Fräuleinstift, dem Fontane in seinem Roman »Der Stechlin« ein bleibendes Denkmal gesetzt hat. Von der schüchternen Morgensonne angestrahlt, kann ich gut nachvollziehen, dass das Gemäuer den Dichter inspiriert hat. Rechts schweift der Blick über den Wutzsee, dahinter verteilen sich die Gräber der einstigen Stiftsdamen über hügeliges Gelände. Ein friedliches Fleckchen, an dem ich noch mal meine Kräfte sammle, bevor ich loslaufe.

Vorbei am Café »Süße Ecke« und der mächtigen Friedenseiche auf dem Marktplatz werde ich gleich zum Ufer des Gudelacksees wandern, wo die Boote im verwaisten Yachthafen vor sich hindümpeln. Und dann stundenlang durch den Wald stapfen, um nach rund 21 Kilometern in Rheinsberg anzukommen.

Es ist meine sechste Etappe auf dem Brandenburgischen Klosterweg. 125 Kilometer lang, verbindet er vier Zisterzienserklöster – Himmelpfort, Zehdenick, Gransee und Lindow – und schlägt dabei einen weiten Bogen durch das Ruppiner Land und den Landkreis Oberhavel. Die Sakralbauten sollen Wanderer, auch wenn sie nicht unbedingt religiös sind, zur Einkehr bewegen. Ihnen dabei helfen, »den Kopf frei zu bekommen«, wie es im Flyer heißt. Ob das funktioniert?

Ich beginne in Fürstenberg, das von Berlin aus gut mit dem Zug zu erreichen ist. Von dort sind es acht Kilometer nach Himmelpfort. Der breite Weg, meist Platten und Kopfsteinpflaster, ist zum Wandern nicht unbedingt ideal. Weshalb die Fahrradfahrer, die mich überholen, auch etwas mitleidg vom Sattel auf mich herunterblicken. Aber noch bin ich voller Energie. Bevor ich die »Pforte des Himmels« erreiche, die sich malerisch zwischen mehrere Seen schmiegt, liegt allerdings das, was für unzählige Menschen die Hölle war: das Konzentrationslager Ravensbrück, heute Mahn- und Gedenkstätte, wo zeitweise allein 120 000 Frauen und Kinder interniert waren und vielfach zu Tode kamen. Die von Unkraut überwucherten Gebäude stimmen schon mal darauf ein, dass der Klosterweg nicht nur erbauliche Ruinen bereithält. Später wird er mich auch am Kernkraftwerk Rheinsberg vorbeiführen, das Jahrzehnte nach seiner Stilllegung noch nicht vollständig zurückgebaut ist.

Immerhin gibt es dazwischen viel Landschaft zu sehen: ausgedehnte Kiefern- und Mischwälder, Wiesen und jede Menge Seen, die Balsam für Augen und Seele sind. Nach Himmelpfort, wo gleich neben der Klosterruine das Haus des Gastes mit der Weihnachtsstube zu einer ersten Kaffeepause einlädt, geht es am Ufer des Stolpsees entlang nach Bredereiche. Ein beschauliches Haveldorf mit hübscher Fachwerkkirche aus dem 17. Jahrhundert, wo selbst im Hochsommer nicht allzu viel los ist. Noch ruhiger wird es, wenn die letzten Freizeitkapitäne davongeschippert sind. Weit und breit keine Menschenseele. Dafür werde ich nach drei Kilometern Waldweg am Gut Boltenhof von gefühlt zweihundert schnatternden Gänsen begrüßt: das Empfangskomitee des gepflegten Landhotels. Nur schade, dass sie auch irgendwann in der regionalen Weideküche des Hauses landen! Aber daran denke ich lieber nicht, während ich ein herzhaftes Kartoffelrösti löffele. In der Nebensaison muss man froh sein, wenn man auf dem Klosterweg überhaupt etwas zu essen bekommt.

Wenn ich mich darauf gefreut hatte, auf der nächsten Etappe nach acht Kilometern durch Wiesen, Felder und einsame Dörfer wie Barsdorf – mit sehenswerter, offener Kirche! – einen Stopp in der Mühle Tornow einzulegen, immerhin ein schönes Ausflugslokal mit Hofladen und Pension, werde ich mit dem Hinweis »heute geschlossene Gesellschaft« abgewiesen. Zum Glück bekomme ich 500 Meter weiter noch eine große Johannisbeersaftschorle. Denn was danach kommt, ist tatsächlich eine elend lange Durststrecke. Nirgendwo finde ich ein Restaurant oder Café auf dem fünfzehn Kilometer langen Weg nach Zehdenick! Noch dazu geht es an der Landstraße entlang – der unangenehmste Abschnitt des ganzen Klosterwegs.

Mag sein, dass es beim Pilgern, dem viel beschworenen Gebet mit den Füßen, um die innere Einkehr geht. Aber man muss sich schon in sehr tiefe Gedanken versenken, um die vielen Autos und Lkw auszublenden, die auf der Landstraße vorbeirauschen. An solchen Stellen wird deutlich, dass der Klosterweg, anders als der Pilgerweg von Berlin zur Wunderblutkirche in Bad Wildsnack, nicht auf einer historischen Trasse verläuft, die schon von Zigtausenden Menschen begangen wurde. Stattdessen hat man hier versucht, vier Klosterruinen zu verbinden und dabei mal an das Streckennetz des Laufparks Stechlin, mal an bestehende Wander- oder Radwege anzudocken. Einige Passagen aus feinstem Asphalt mögen das Herz der Pedalritter höher schlagen lassen – für die Füße sind sie alles andere als ein Segen. »Ja, manches muss noch optimiert werden«, räumt Dr. Reinhard Kees, Pfarrer im Ruhestand und offizieller Sprecher des Klosterwegs, auf Nachfrage ein. Geplant seien auch noch preisgünstige Pilgerunterkünfte und Andachten, die man sich in den Kirchen per QR-Code herunterladen kann.

Was mich in Zehdenick immerhin schnell versöhnt, ist das Klostercafé. Nicht nur, weil es köstliche Torten und sehr guten Kaffee bereithält. Unter historischen Gewölben kommt auch eine gewisse spirituelle Atmosphäre auf. Um 1250 entstanden, wurde das Zisterzienserinnenkloster im Zeichen der Reformation zum evangelischen Damenstift und im Dreißigjährigen Krieg zerstört. Geblieben sind der Kreuzgang sowie Teile des West- und Nordflügels aus dem 14. Jahrhundert, in denen ein Museum mit dem bestickten Altartuch von 1300 die Geschichte lebendig werden lässt. Nachdem Zehdenick im Mittelalter beliebtes Wallfahrtsziel war, steuern es heute wieder Pilger auf dem Klosterweg an. »Ja doch, wir verkaufen auch Pilgerpässe«, sagt die freundliche Bedienung im Café und deutet auf den Tisch, wo die Stempel liegen.

Auf der Südroute erwartet mich dann viel Wasser. Über die Kamelbrücke geht es zur Marina Zehdenick und weiter in die Tonstichlandschaft mit dem Ziegeleipark Mildenberg. Hier der Zimmermann- dort der Radkestich, und plötzlich stehe ich vor dem Ortsschild von Ribbeck. Ribbeck? Ja, aber ohne Birnbaum. Von den Lokalen des Bilderbuchdorfs im Havelland ganz zu schweigen. Rings um die hübsche Feldsteinkirche vertreiben mich nur bellende Hunde. Vielleicht wäre hier auch mal ein Fontane-Gedicht fällig, denke ich, während ich auf Feldwegen nach Gransee laufe. Ziel ist hier das eingerüstete Franziskanerkloster, aus dem bald ein Ort für Kultur und Bildung werden soll. Ansonsten ist der historische Stadtkern mit der Marienkirche und dem Luisendenkmal, Schinkels Hommage an die verstorbene Königin der Herzen, schön durchsaniert, und im Café Miran kann ich mich an einer herzhaften Suppe wärmen.

Raffinierter ist die Küche im »Schlosswirt Meseberg«, der auf der folgenden Etappe gleich neben dem Gästeschloss der Bundesregierung steht. Überhaupt gehört die fünfzehn Kilometer lange Strecke, die am Huwenow- und Wutzsee entlangführt, zu den Highlights des Klosterwegs. Zu toppen ist sie höchstens durch das letzte Stück von Rheinsberg nach Fürstenberg. Hier kommt auch wieder Fontane ins Spiel. Über den lauschigen Wittwesee nördlich von Rheinsberg hat er sich zwar nicht ausgelassen – schon allein der Name wäre doch eine spannende Erzählung wert – umso mehr über Schloss Rheinsberg und den Stechlinsee, an dessen beschaulichen Ufern entlang ich durch reichlich raschelndes Laub nach Neuglobsow wandere. Ob der Dichter geahnt hat, was für eine Erfolgsgeschichte er dem einst so ärmlichen Glasmacherdorf am Stechlinsee durch seinen Roman beschert hat? Eine solche würde ich auch dem Brandenburgischen Klosterweg wünschen. Vorher wären da noch ein paar holperige Stellen auszuräumen. Aber wer gut zu Fuß – oder sehr tief im Glauben verwurzelt – ist, wird sich von ihnen nicht abschrecken lassen!

Tipps

Alle Informationen zu den sechs Etappen des rund 125 Kilometer langen Brandenburgischen Klosterwegs sind unter www.brandenburgischer.klosterweg.de zu finden.

Ausgedehnte Kiefernwälder, Wiesen und jede Menge Seen, die Balsam für Augen und Seele sind.

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