Bedürftige Israelis werden gezielt gegen afrikanische Flüchtlinge ausgespielt
Der Sudanese Mutasim Ali über seine Anerkennung als Asylsuchender und die Politik der Regierung Netanjahu
In Israel leben rund 43 000 Flüchtlinge aus Eritrea und Sudan. Sie sind der erste und bisher einzige Sudanese, der den Asylstatus erhielt. Was unterscheidet Sie von all den anderen?
Im Grunde ist meine Geschichte nicht anders als die von tausend anderen Flüchtlingen aus Sudan. Deshalb gibt es keine Legitimation dafür, dass bisher nur mir Asyl gewährt wurde. Allerdings gab es wohl einige Faktoren, die das ermöglicht haben. Ich war im Rahmen der Flüchtlingsproteste sehr sichtbar. Das hat den Druck auf das Innenministerium erhöht. Gleichzeitig haben sich Menschenrechtsorganisationen auf juristischer Ebene sehr für mich eingesetzt, um einen Präzedenzfall zu schaffen.
Israel hat die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Trotzdem hat das Land kein Asylgesetz. Sie haben den Status dennoch bekommen. Wie funktioniert das Verfahren?
In Israel gibt es keine Asylpolitik. Und genau darin besteht die politische Strategie. Die Flüchtlinge werden in ständiger Ungewissheit gehalten. Bis 2012 konnte niemand von uns Flüchtlingen aus Sudan und Eritrea einen Asylantrag stellen. Die Regierung versucht meiner Ansicht nach, den Asylsuchenden das Leben so schwer wie möglich zu machen, damit diese »freiwillig« in ein anderes afrikanisches Land ausreisen. Nachdem das »offene« Gefängnis Holot geschaffen wurde, bot die Regierung die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Grund dafür war auch massiver Druck von Menschenrechtsorganisationen. Was dann passierte, war jedoch: Fast alle Eritreer, die ich kenne, erhielten Negativbescheide, ohne dass die Entscheidung transparent getroffen wurde. Die Sudanesen wiederum erhalten gar keine Antwort, ihre Verfahren werden einfach ewig in der Schwebe gehalten.
Wieso haben Sie sich trotz der restriktiven Politik gegenüber Flüchtlingen entschieden, nach Israel zu fliehen?
Als ich Sudan verlassen musste, habe ich keine Sekunde daran gedacht, nach Israel oder Europa zu gehen. Ägypten war von Sudan aus der einzig mögliche Ort für mich. Das Leben dort hat mich aber sehr frustriert. Wegen enger Beziehungen zwischen Ägypten und dem sudanesischen Regime werden Menschen wie ich aus Darfur auch in Ägypten als Gefahr wahrgenommen. Es besteht jederzeit das Risiko, dass man uns zurückschickt. Der zweite Grund, der mich motivierte, nach Israel zu fliehen, war das Engagement der jüdischen Diaspora vor allem in den USA für Opfer von Völkermorden auch aus Darfur.
Sie sagen, die Strategie der israelischen Regierung besteht darin, den Flüchtlingen das Leben schwer zu machen. Inwiefern?
Die Einrichtung Holot beispielsweise dient dazu, die Hoffnung der Asylsuchenden zu brechen. Viele Menschen dort waren nach kurzer Zeit mental in einem schlechten Zustand. Außerdem sollen die Flüchtlinge gesellschaftlich desintegriert werden. Und das funktioniert. Ich kenne Menschen, die trotz der menschenunwürdigen Bedingungen lieber in Holot bleiben wollten als in den Nachbarschaften in Tel Aviv zu leben, wo die meisten Flüchtlinge enden und wo sie mit Rassismus und Übergriffen konfrontiert sind. Das sind sehr arme, marginalisierte Nachbarschaften.
Ich versuche immer, mich in die Position der dort ansässigen israelischen Bevölkerung zu versetzen, und ich setze mich auch für ihre Rechte und Probleme ein. Denn auch sie leiden, weil die Regierung ihre Verantwortung ignoriert. Die Ursache des Rassismus wurde politisch geschaffen, marginalisierte Israelis werden gezielt gegen Flüchtlinge ausgespielt. Anstatt Unmengen von Geld in Gefängnisse wie Holot zu stecken, sollte die Regierung in diese armen Nachbarschaften investieren. Die Menschen aus meiner Community wollen nicht, dass der Staat sie versorgt, sie wollen im Gegenteil hart arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Premierminister Benjamin Netanjahu spricht im Zusammenhang mit afrikanischen Flüchtlingen oft von einer großen Gefahr für die israelische Gesellschaft. Haben Sie den Eindruck, die israelische Bevölkerung teilt diese Ansicht?
Da gibt es eine große Bandbreite. Viele Menschen unterstützen Flüchtlinge ganz aktiv. Dann gibt es viele, die Verständnis haben, aber gleichzeitig auch Angst. Und dann ist da eine Gruppe von Menschen, die uns als Eindringlinge wahrnimmt. Und mit dieser Bezeichnung gehen viele Konnotationen einher. Wir hören oft, wir seien Kriminelle oder Vergewaltiger. Natürlich gibt es Flüchtlinge, die Straftaten begehen. Aber der Polizeireport zeigt sogar, dass die Kriminalitätsrate unter Afrikanern geringer ist als im Rest der Bevölkerung. Und meist geht es dabei um Diebstahl. Ich möchte das nicht rechtfertigen, aber Flüchtlinge, die stehlen, möchten in der Regel bloß essen. Wenn man ihre Situation verbessern würde, würde die Kriminalitätsrate sicher stark sinken.
Vor drei Jahren gab es Massenproteste von Flüchtlingen und für Flüchtlinge in Israel. Was ist aus dieser Bewegung geworden?
Vor 2013 gab es unter den Flüchtlingen keine Einheit. Sudanesen demonstrierten allein, genauso wie Eritreer. Dann entschieden wir, uns zusammenzutun und planten Proteste für die Samstagabende. Tausende kamen und es wurden von Woche zu Woche mehr. Und all das war aus den Flüchtlingscommunities heraus organisiert worden. Es gab ein Organisationskomitee, in dem jede nationale Gruppe Repräsentanten hatte, wie in einem Parlament. Dann gab es einzelne Arbeitsgruppen, in denen sich auch Israelis beteiligten. Als 20 000 Menschen durch Tel Aviv marschierten, war sogar die Polizei beeindruckt. Alle waren friedlich und nach der Demonstration machten die Teilnehmer die Straße sauber. Aber über die Monate gelang es der Regierung, die Bewegung zu zerschlagen, indem sie die Anführer, auch mich, nach Holot schickten und uns isolierten. Mittlerweile gibt es zwar immer noch Kontakt zwischen den Gruppen, aber viele sind auch frustriert. Denn obwohl die Proteste so beeindruckend waren, haben sie letztlich nichts an der politischen Situation geändert.
Gibt es Politiker, die die Bewegung unterstützen?
Es gibt Unterstützer vor allem aus der linken Opposition. Und auch einzelne Sympathisanten aus den Zentrumsparteien. Die Arbeitspartei zum Beispiel vertritt zwar nicht die Interessen von Flüchtlingen, einige Abgeordnete unterstützen uns dennoch. Sie haben aber Angst, sich öffentlich und im Rahmen ihrer Partei für diese Position stark zu machen.
Was muss die Flüchtlingsbewegung in Israel tun, um tatsächlich Einfluss auf die Politik zu gewinnen?
Ich denke, der Kampf über Gerichte ist momentan keine Option. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem auch das Verfassungsgericht sich nicht mehr traut, die Regierungspolitik anzugreifen. Außerdem hat es einen Ort wie Holot legitimiert. Ich denke, wir müssen zwei Strategien parallel verfolgen. Einerseits müssen wir die Zusammenarbeit mit Politikern suchen. Andererseits müssen wir uns öffentlichkeitswirksam an die israelische Gesellschaft wenden. Es ist jedoch nicht einfach, auf diese Weise großflächig Unterstützung zu mobilisieren. Deshalb sollten wir auch politisch einflussreiche Gruppen für uns gewinnen, die als Mediatoren auftreten können, die jüdische Diaspora etwa oder religiöse Führer.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.