Das Ende der »Friedensmacht Europa«

Felix Jaitner erklärt, warum eine Militarisierung der östlichen Grenzen die Konflikte mit Russland verschärft

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 3 Min.

In ihrer größten Krise propagiert die »Friedensmacht Europa« eine vertiefte militärische und sicherheitspolitische Integration ihrer Mitgliedsstaaten. Ausgerechnet die Europäische Union, die für ihre Bemühungen um nachhaltigen Frieden in Europa im Jahr 2012 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, setzt in Zeiten staatlicher Budgetrestriktionen, vermittelt durch Austeritätspolitik und Schuldenbremse, auf eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes. Maßnahmen zur Sicherung des sozialen Friedens und der Lebensqualität, wie ein Ausbau der Infrastruktur, eine Verbesserung der medizinischen Versorgung oder der staatlichen Sozialleistungen, müssen erst mal warten.

Eine treibende Kraft dieser autoritären Integration ist die Bundesrepublik. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen betonte auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar das Ziel, die europäische Sicherheit und Verteidigung effizienter und wirkungsvoller zu gestalten. Als notwendige Schritte auf diesem Weg nannte sie die Verzahnung ziviler und militärischer Kompetenzen sowie gemeinsame Rüstungsprojekte. Als »europäische Ankerarmee« geht die Bundeswehr bei diesen Bemühungen voran. Vor zwei Wochen berichtete die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, dass zwei Drittel der niederländischen Heeresverbände in deutsche Kommandostrukturen eingegliedert wurden. Vereinbarungen über ähnliche Kooperationen gibt es auch mit Rumänien und der Tschechischen Republik.

Begründet werden diese Schritte als eine europäische Reaktion auf die sich verschärfenden geopolitischen Krisen, so etwa in der Ukraine. Dabei dient ein militärisch wiedererstarktes Russland zunehmend als Feindbild und legitimiert die beschleunigte Neuausrichtung der europäischen Sicherheitspolitik. Die von den USA eingeforderte stärkere Beteiligung der europäischen NATO-Mitglieder (burden sharing) liefert den offiziellen Vorwand, diese Entwicklung endlich zu beschleunigen.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist das Verhältnis des Westens zu Russland durch zwei historische Erfahrungen geprägt: Die Phase der Konfrontation im Kalten Krieg und daran anschließend einen kurzen Zeitabschnitt der Entspannungspolitik. Letztere war eine Reaktion auf den Rüstungswettlauf, der immer neue Eskalationen und damit Unsicherheiten provozierte. Zum Erstaunen vieler erwiesen sich vertrauensbildende Maßnahmen, wie Abrüstung, der Abzug von schweren Waffen und gegenseitige Inspektionen, als deutlich effektivere Schritte zur Friedenssicherung. Die aktuelle Entwicklung knüpft dagegen an konfrontative Traditionen an. Allerdings unter veränderten Vorzeichen.

Seit der Auflösung der Sowjetunion ist die Region von vielfältigen Krisen geprägt. Der ökonomische Niedergang aller Nachfolgestaaten provoziert immer wieder Verteilungskonflikte, die oft ethnisch überformt, gewaltsam eskalieren. Der Verarmung breiter Schichten steht die Herausbildung einer kleinen Machtelite gegenüber, der es gelang, sich in den Privatisierungsprozessen zu bereichern. Einer gesellschaftlichen Demokratisierung steht sie bestenfalls skeptisch gegenüber, da sie ihre politischen und wirtschaftlichen Privilegien gefährden würde. Der aktuelle Konflikt in der Ukraine steht beispielhaft für diese Entwicklung. Destabilisierend wirkte sich auch das Versäumnis aus, eine europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die Russland miteinbezieht. Trotz wiederkehrender russischer Angebote, reagierte die EU auf solche Vorschläge äußerst verhalten. Stattdessen erhöhte die NATO-Osterweiterung die Spannungen zwischen Russland und dem Westen.

Es ist abzusehen, dass die Neuausrichtung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu weiteren Konflikten im post-sowjetischen Raum führen wird. Die Stationierung europäischer Streitkräfte, so auch deutscher Truppen, in Litauen oder die Debatte über eine europäische Atombombe provozieren eine russische Gegenreaktion. Obwohl die Aufrüstungspläne in der europäischen Bevölkerung mehrheitlich auf Ablehnung stoßen, regt sich kaum Protest. In einer solchen Atmosphäre ist eine Debatte über Abrüstung und gemeinsame Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands umso wichtiger. Langfristig bedarf es eines Programms zur wirtschaftlichen Stabilisierung des post-sowjetischen Raums. Nur dann scheinen weitere Konflikte vermeidbar.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.