Der Terror der Apfelschorle
Christoph Ruf über den Fall Großkreutz und den lächerlichen Konformitätszwang im Profifußball
Der Mann bedankte sich bei allen, die ihm vertraut hatten, Tränen flossen, und irgendwann kam dann auch das Bekenntnis, es sei wohl besser, wenn das Arbeitsverhältnis sofort beendet werde. Kevin Großkreutz musste also etwas Schlimmes getan haben.
Nun, zumindest hat der Fußballspieler vom VfB Stuttgart niemanden bestohlen, niemanden geschlagen (er ist geschlagen worden), er hat auch niemanden umgebracht. Er hatte in der Woche noch nicht einmal Mannschaftstraining. Er war aber nachts um zwei Uhr alkoholisiert in der Innenstadt unterwegs, in einem Klub, in einem Bordell.
Man kann sich einen Reim darauf machen, wie jemand tickt, der so seine Abende verbringt. Eben wie Großkreutz - oder wie Millionen andere Menschen. Doch die gehen am nächsten Tag ganz normal zur Arbeit, ohne dass jemand auf die Idee käme, ihnen zu kündigen.
Es wäre also spannend gewesen zu beobachten, wie der VfB reagiert hätte, wenn Großkreutz nicht tatsächlich so doof gewesen wäre, zu seinem Ausflug auch noch 17-Jährige aus der eigenen Nachwuchsabteilung mitzunehmen. Das kann ein Verein natürlich auf keinen Fall unsanktioniert lassen. Aber muss es dann gleich eine Vertragsauflösung sein? Hätte eine Geldstrafe nicht auch gereicht? Die »Welt« stellt jedenfalls die Frage, ob man genauso verfahren wäre, wenn statt eines 28-jährigen Spielers, den der Trainer von seinem Vorgänger geerbt hat, ein richtig wichtiger Akteur wie Simon Terodde oder Carlos Mané nachts unterwegs gewesen wäre. Als Dortmunds Marco Reus damit aufflog, dass er jahrelang ohne Führerschein Auto gefahren war, ging es ihm wie Bremens Max Kruse, der ein paar Stunden vorm Training sein Auto gegen die Leitplanke gesetzt hatte. Den beiden Top-Spielern passierte nichts.
Doch die Kommentare in den Medien bezeichneten die Demission fast einhellig als folgerichtig, mancher Kollege sinnierte reichlich anmaßend über den vermuteten IQ des Kevin G. Der Mann hat mal einen Döner geworfen und mal in einem Mannschaftshotel gegen eine Zimmerpflanze uriniert. Ein Proll fraglos, und bei Prolls vermuten Menschen, die sich selbst für intelligent halten, gerne mal, dass sie nicht sonderlich helle sein können. Ein Anzug verleiht die Aura des Geistes, ein Tattoo gibt zehn IQ-Punkte Abzug. Bei Anzugträgern mit Tattoo ist der IQ-Würfler verwirrt.
Als Großkreutz nach schwer zu ertragenden Minuten, in denen er um Worte und Fassung rang, die Pressekonferenz verließ, standen draußen VfB-Fans und applaudierten ihm. Obwohl Großkreutz nie verhehlt hatte, dass sein Herz Borussia Dortmund gehört. Doch vielleicht hat die Stuttgarter Fans ja gerade das für ihn eingenommen. Dass da mal jemand spielte, der nach Toren nicht das Wappen küsste wie all die Teilzeitkräfte, die eine Spielzeit später wieder ein anderes Logo herzen. Großkreutz würde nur ein Wappen küssen. Doch wer ihn verpflichtet, weiß, dass er jemanden bekommt, der 90 Minuten lang ackert und rennt. Und einen, der nach jedem Spiel zuerst in die Fankurve kommt. Weil für ihn, der in Dortmund selbst in der Kurve stand, dort das Herz jedes Stadions schlägt.
Vielleicht wird Großkreutz bei Fans ja aus zwei Gründen gnädiger gesehen als im Fußball-Feuilleton. Weil er ist wie er ist - und nicht wie Berater ihn gerne hätten. Und weil man die Nase voll hat vom DIN-Fußballprofi. Der Gegenentwurf zu Großkreutz erwähnt selbst bei der eigenen Hochzeit, dass der Teamerfolg auch an diesem Tag weit wichtiger sei als das persönliche Schicksal, und er stößt bei der Vermählung mit Apfelschorle an, denn das ist ja - ausweislich aller Fragebögen, die er ausgefüllt hat - sein Lieblingsgetränk.
Vergangenen Sommer war ich im Trainingslager eines Erstligisten, dessen Spieler den Weg vom Mannschaftshotel zum Trainingsplatz ökologisch korrekt mit dem Fahrrad zurücklegten. Es handelte sich dabei um eine 1500 Meter lange Strecke, die an Wiesen und einem Bach entlangführte. Es gab keinen Gegenverkehr, weil es keine Autos gab.
Doch als ein Spieler von 25 es unterließ, seinen Fahrradhelm aufzusetzen, bekam er einen sehr langen Vortrag zu hören, in dem es um das Große und Ganze, also den bösen Egoismus und den heiligen Mannschaftsgeist ging, und damit also anscheinend irgendwie auch um einen Fahrradhelm. Seitdem ich mit Fußballmannschaften zu tun habe, weiß ich jedenfalls wieder genau, warum ich früher mal den Militärdienst verweigert habe.
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