Juppé lässt Fillon in der Sackgasse

Französischer Ex-Premier sagt eine mögliche Ersatzkandidatur endgültig ab

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Juppé erklärte seinen Verzicht am Montagvormittag in Bordeaux, wo der ehemalige Premierminister jetzt Bürgermeister ist, vor der Presse und über sie ausdrücklich an die Adresse aller Franzosen. Sein zweiter Platz bei der Vorwahl im November habe eindeutig gezeigt, dass er nicht in der Lage war, die Mehrheit der Mitglieder und Angänger seiner Partei hinter seine Positionen zu sammeln, stellte Juppé fest. Bei der Präsidentschaftswahl könne das nicht besser gelingen, eher im Gegenteil.

»Noch nie in der 5. Republik war eine Präsidentschaftswahl so konfus«, schätzt er ein. Die Linke sei zersplittert und praktisch aussichtslos, die extreme Rechte versteige sich in antieuropäischen Fanatismus, der für das Land verheerend wäre, und Emmanuel Macron biete sich als Erneuerer an, doch es fehle ihm an Erfahrung und einem überzeugenden Programm. »Die Rechte und das Zentrum haben ihre Aussichten selbst verpfuscht«, konstatiert Juppé bitter. Nach der Vorwahl habe vor Fillon »ein Boulevard« gelegen und die Wahl galt schon so gut wie gewonnen. Doch den Enthüllungen und Ermittlungen gegenüber habe sich Fillon »in eine Verteidigungsstrategie verstiegen, wonach es sich um ein Komplott und einen politischen Mordversuch handelt«, meinte Juppé. »Das hat ihn in die Sackgasse geführt.«

Das Meeting von Fillon Sonntagnachmittag in Paris habe gezeigt, dass sich »der harte Kern der Mitglieder und Anhänger der Republikaner radikalisiert«. Seine Rede auf dem Meeting und sein Fernsehinterview am Abend zeigten »die wilde Entschlossenheit und den Starrsinn« von Fillon, seine Kandidatur aufrechtzuerhalten, weil er überzeugt sei, nur er könne die Rechte noch zum Sieg führen. Juppé schätzt ein, Frankreich sei krank, sträube sich gegen notwendige Reformen, sei aufgebracht gegen seine Eliten, aber empfänglich für demagogische Versprechungen.

»Das Land macht eine tiefe Krise durch«, meinte er. Aber für ihn sei es »zu spät«, seine Mitbürger da herauszuführen. Angesichts der Herausforderungen, vor denen das Land steht, hoffe er trotz allem auf einen Machtwechsel zugunsten der Rechten, versicherte Juppé, der es aber vermied, Fillon Erfolg zu wünschen oder ihm Unterstützung zuzusagen.

An dem Meeting von Fillon am Sonntag auf dem Pariser Trocadero-Platz vor der Kulisse des Eiffelturms nahmen nach Angaben der Veranstalter 200 000 Menschen teil, während die Polizei 45 000 zählte und angab, dass der Platz nicht mehr als 50 000 fassen würde. Auf der Tribüne stand neben François Fillon seine Frau Penelope, deren fiktive Beschäftigung als parlamentarische Assistentin ihres Mannes die Ermittlungen der Justiz und damit die Krise ausgelöst hatten. Am selben Tag hatte sie in einem Interview für »Journal du Dimanche« versucht, von der Realität ihrer Arbeit zu überzeugen, während sie früher immer betont hatte, dass sie sich aus den politischen Aktivitäten ihres Mannes völlig heraushalte.

Hinter Fillon standen auf der Tribüne einige Parlamentarier wie Christian Jacob, François Baroin und Eric Ciotti, die zu den Anhängern von Nicolas Sarkozy gehören. Für Juppé war das wohl ein deutlichen Zeichen, dass der Ex-Präsident nicht ihn unterstützen würde, was ihn letztendlich bewogen haben mag, am Abend eine Erklärung für Montagvormittag anzukündigen. In seiner Rede auf dem Meeting prangerte Fillon die - inzwischen mehr als 250 - Abgeordneten und anderen Politiker der eigenen Partei an, die ihm öffentlich die Gefolgschaft aufgekündigt haben. Für sie hätten die Franzosen »nur Abscheu und Verachtung« übrig, war er sicher. Er entschuldigte sich, dass er seine und die Ehre seiner Frau verteidigen müsse, statt sich ganz auf dem Kampf für den Machtwechsel konzentrieren zu können. Er sei mit seinem Gewissen »im Reinen«. Jetzt sei es an den führenden Politikern seiner Partei, für Klarheit zu sorgen und ihn rückhaltlos zu unterstützen. Der Erfolg sei noch möglich, wenn alle Kräfte vereinigt würden.

Fillon sagte jedoch auf dem Meeting nicht, ob er unter allen Umständen an seiner Kandidatur festhalten will. Darüber wollten Montagabend und Dienstagfrüh die führenden Gremien der Partei der Republikaner beraten und entscheiden.

Wohl nicht zuletzt, um auf diese Entscheidungen Druck auszuüben, betonte Fillon am Sonntagabend in einem Fernsehinterview, das Meeting vom Nachmittag sei ein »deutlicher Beweis für die massenhafte Unterstützung«, die er nach wie vor bei den Wählern genieße.

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