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»Kopf hoch, Herrgott nochmal!«

Sylvain Prudhomme: »Ein Lied für Dulce« - und alle Hoffenden

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer dieses Buch liest, wird sich vielleicht eine Begleitmusik wünschen. Nicht vergeblich. Auf youtube kann man tatsächlich die legendäre Band »Super Mama Djombo« erleben, von der Sylvain Prudhomme erzählt. Man kann den französischen Autor auch bei einer Lesung sehen, wie er seinen Vortrag unterbricht und sich vom Spiel zweier schwarzer Musiker mitreißen lässt. Schließlich Dulce, die Sängerin: Was für eine klare, fast mädchenhafte Stimme sie hat! Da tröstet es einen, wenn man in der Nachbemerkung des Autors erfährt: »Die echte Dulce Neves lebt und singt noch immer. Sie hat nie einen General geheiratet und schon gar keinen Generalstabschef und Putschisten.«

Dass die Nachricht vom Tod dieser schönen Frau und Künstlerin seinen Roman eröffnet und bis zur letzten Seite bestimmt, mag der Autor als Kunstgriff bezeichnen. Dass es ein glücklicher Einfall sei, könnte man als Leser hinzufügen und dabei mutmaßen, ob nicht doch auch ein Geheimnis dahintersteckt - etwas, das dem Roman aus verborgener Tiefe heraus eine existenzielle Spannung gibt, die sich über Guinea Bissau hinaus weitet bis nach Paris, bis überall dorthin, wo jemand sich dieses Buch zu Herzen nimmt.

Aber erst einmal ist man von einer fremden Welt umfangen. Eines der »am geringsten entwickelten Länder weltweit«, sagt Wikipedia über Guinea Bissau. Aber Couto, der Gitarrist, für den Dulce eine große Liebe war, würde anderswo nicht leben wollen, schon gar nicht bei den Europäern, diesen »müden, erloschenen Menschen«. Und das schreibt ein Autor aus Frankreich? Da muss man wissen, dass Sylvain Prudhomme seine Kindheit in Kamerun, Burundi, Mauritius und im Niger verbracht und nach seinem Studium in Paris mehrere Jahre in Afrika gearbeitet hat.

Was für unsereins neue, mitunter befremdliche Bilder sein mögen (diese Armut, diese Ausweglosigkeit!), das hat für ihn eindrückliche Farbigkeit. Verbunden womöglich sogar mit leidenschaftlichen Erinnerungen. Denn wie Couto an die göttliche Dulce und an seine neue Liebe, »Esperanca, die Wunderbare«, denkt, das hat Prudhomme ja in Worte gebracht. »Mein altersgrauer Irrer«, »mein schöner schwarzer Greis«, so wird Couto von Esperanca genannt, »die alle Zaubermittel kannte«, denn für die jüngeren Mitglieder der Band könnte er Vater, gar Großvater sein. »Les Grands« heißt der Roman im Original, in dem es eben auch um vergangene Größe geht.

Vorbei die Zeit der wilden Jugend - für Couto (eine erdachte Gestalt im Gegensatz zu vielen anderen) und für den Autor auch. Wie berauschend war es gewesen, als aus den unbekannten Musikern die Band »Super Mama Djombo« wurde, der ganze Stadien zu Füßen lagen. »Das Leben hatte ihnen das geschenkt, wovon alle Musiker träumen ... Von Maputo bis Stockholm hatte man auf ihre Stücke getanzt, sich um ihre Schallplatten gerissen, ihre Hits im Radio rauf- und runtergespielt.« In vielen Ländern waren sie gewesen. »Manchmal begleitet vom Staatspräsidenten persönlich, der stolz darauf war zu demonstrieren, dass ihr Land nicht nur eine europäische Armee rausschmeißen konnte, sondern auch musikalisch etwas draufhatte.«

Der Kampf um die Unabhängigkeit - Couto und die anderen waren dabei gewesen. Doch als die Portugiesen verjagt waren und Leute an die Macht kamen, die einst Kampfgenossen gewesen waren, hörte die Ungerechtigkeit im Lande nicht auf. Nur dass nun andere in den Palästen wohnten und ihre Familien gleich mit versorgten.

Wie können sich Freiheitskämpfer davor hüten, irgendwann so zu werden wie die einstigen Unterdrücker? Wie lässt sich verhindern, dass Macht die Menschen verdirbt?

Solche Fragen werden im Buch nicht gestellt. Sie gehen einem aber durch den Kopf, denn die hier geschilderten Zustände vertragen sich nicht mit einstigen sozialistischen Wunschvorstellungen, die nationalen Befreiungsbewegungen betreffend. Vertragen sich auch nicht mit Utopien einer Weltgemeinschaft. Was man an »Super Mama Djombo« sehen konnte. »Bis heute lebten zwei Drittel der alten Garde verstreut in der Ferne, manche hatten eine Familie gegründet, die ihrem Exil etwas Sinn gab, die anderen allein. Versprengte Brüder. Galeerensklaven der großen Städte, die meisten ewig von der Frage der Rückkehr umgetrieben. Sträflinge eines Europas, das sie gerne haben wollte, aber als Malocher, nicht als Könige, die sie in ihren Träumen waren.«

Wie treffend formuliert! Nicht von ungefähr hat dieser Roman in Frankreich schon mehrere Preise bekommen. Prudhommes Sprache ist mitreißend. Und dann wieder sensibel beobachtend, melancholisch. Dabei vollzieht sich die Gegenwartshandlung vor dem Hintergrund eines beängstigenden Geschehens.

Die Nachricht von Dulces Tod fällt zusammen mit Gerüchten über einen bevorstehenden Militärputsch. »Super Mama Djombo« trifft sich mit einem begeisterten Publikum zu einem Gedenkkonzert, und gleichzeitig fahren an diesem 12. April 2012 Panzer und Geschütze auf. Hätte man das Konzert absagen sollen? Die Erinnerung an einen Ausspruch von Dulce, in Paris gelernt, bringt Couto zum Lachen: »Kopf hoch, weiter geht’s … Kopf hoch, Herrgott noch mal.«

Sylvain Prudhomme: Ein Lied für Dulce. Roman. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Unionsverlag. 223 S., geb., 20 €.

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