Jobschöpfer und Jobkiller
Computermesse CeBIT feiert technischen Fortschritt durch Digitalisierung
»Möchten Sie einen Kaffee?« Freundlich fragt der Roboter, die Kulleraugen auf sein Gegenüber gerichtet, den CeBIT-Besucher, bietet ihm diverse Sorten an, von Arabica bis Espresso. Kurz darauf serviert eine elektronisch gelenkte Hand das gewünschte Getränk. Digitale Technik zum Anfassen, zum Angucken - so wie sie noch bis Freitag rund 200 000 Besucher in vielfältiger Form erleben können in Hannover, auf der weltgrößten Computermesse.
Rund 3000 Aussteller aus 70 Ländern, davon 120 aus dem Messepartnerland Japan, unterstreichen mit ihren Produkten und Forschungsergebnissen: Es gibt kaum noch Lebensbereiche, die nicht von der Digitalisierung berührt werden, und zwar in nahezu jedem Alter.
Mit einer Fülle von Anwendungsbeispielen macht die IT-Schau das deutlich. Da ist etwa das »intelligente Schulbuch«. Das Kind liest den Lehrstoff auf einem Bildschirm, der erfasst dabei durch Sensoren, wohin der Schüler blickt, wie lange er sich welchen Textblöcken widmet. Aufgrund solcher Erkenntnisse kann das »Schulbuch« den Lernenden nun mit weiteren Inhalten versorgen, die den individuellen Bedürfnissen des Kindes entsprechen.
Erwachsene werden der neuen Technik vor allem im Berufsleben begegnen. Vielleicht dem vernetzten Schutzhelm mit integrierter Datenbrille. Sie vermittelt ihrem Träger wichtige Informationen. So könnte einem Stahlwerker, der an seinem lauten Arbeitsplatz Zurufe oder ein Handysignal nicht hört, in diese Brille zum Beispiel ein sichtbarer Warnhinweis gesendet werden: »Pass auf - gleich kreuzt ein Kran deinen Weg!«
Wie Beschäftigten weite Wege zur visuellen Inspektion von Windparks oder anderen Anlagen erspart werden können, wird auf dem Freigelände der Messe demonstriert. Drohnen fliegen über dem Modell einer Bohrinsel, Kameras und Sensoren ermitteln die »Lage vor Ort« und senden die gewonnenen Daten an ein Kontrollzentrum.
Auch für die private Nutzung bietet die schöne neue Technikwelt Innovationen: Zu einem Kontrollzentrum für die Gesundheit wird das Smartphone dank neuer Apps: Sie erstellen individuelle Vorsorgepläne, vermitteln Informationen zu Ärzten in der Nähe, sind ein Teil des CeBIT-Angebotes im Bereich der Medizin. Es reicht von der Diagnosetechnologie zum schnellen Erkennen einer Antibiotikaresistenz bis zu »intelligenten« Prothesen, die auf Signale des Nervensystems reagieren und so das Leben eines Amputierten erleichtern.
Von den präsentierten Produkten erleichtern viele den Alltag. Sei es der Bürotisch, der seine Höhe automatisch der Größe des Sitzenden anpasst, sei es das »Exoskelett« - ein digital unterstützter, stabiler »Anzug«, mit dem Querschnittsgelähmte gehen können. Solche Errungenschaften erfüllen die Forderung, die Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) in seiner Rede zur Eröffnung hervorhob: Der Mensch müsse beim Prozess der zunehmenden Digitalisierung stets im Vordergrund stehen.
Viele aber werden durch jenen Prozess in den Hintergrund gedrängt: Dann, wenn Roboter ihren Arbeitsplatz übernehmen. Angesichts solcher Tendenzen warnt die Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch mit Blick auf die CeBIT vor sozialen und ökologischen Folgen der Digitalisierung. In vielen Ländern stünden Millionen einfacher Arbeitsplätze vor dem Aus. In Deutschland seien laut einer Bankstudie 59 Prozent der Berufe durch den möglichen Einsatz von Robotern gefährdet. Die Politik müsse die Risiken der Digitalisierung ernst nehmen und nach Lösungen suchen, so Germanwatch-Geschäftsführer Christoph Bals.
Am Suchen ist auch die IT-Branche: Sie hat zunehmenden Bedarf an Fachkräften. Doch an ihnen bestehe Mangel, klagt der Ingenieursverband VDI. Sein Manager Dieter Westerkamp sagte am Montag: »Die Zahl der offenen Stellen steigt - auf einen arbeitslos gemeldeten Informatiker kommen heute 3,5 Stellen.«
So schafft die Digitalisierung einerseits Arbeitsplätze, andererseits ist sie als Jobkiller gefürchtet. Daran erinnerte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum CeBIT-Start: Millionen von Menschen fragten sich angesichts des technischen Fortschritts: »Ist das gut für meinen Arbeitsplatz, oder ist das für ihn eine Gefahr?« Die so Fragenden mitzunehmen ins Zeitalter der Digitalisierung, das könne die Politik nicht allein bewältigen, »sondern das müssen wir mit den Anbietern digitaler Technologien gemeinsam tun«, lautete Merkels Fazit.
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