Hunderttausende Leichen im Keller

Die Aufarbeitung von deutschen Kolonialverbrechen wird nicht mit einer Entschädigung für Namibia enden

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach einem langen diplomatischen Schlingerkurs hat die Bundesregierung nun ihre Pläne konkretisiert, was sie Namibia wegen des Völkermords an den Herero und Nama vor etwa 100 Jahren anzubieten gedenkt. Bei einer Diskussionsveranstaltung am Montagabend in Berlin stellte der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für den Dialog mit dem südwestafrikanischen Land, Ruprecht Polenz (CDU), einen speziellen Strukturfonds sowie eine deutsch-namibische Zukunftsstiftung in Aussicht. Der Fonds soll unter anderem Bildungsprojekte fördern. Zudem sind Projekte zur Energieversorgung von entlegenen Dörfern mit erneuerbaren Energien geplant. Nachfahren von Betroffenen aus der Kolonialzeit sollen verbilligten Wohnraum erhalten. Um das Erinnern an die Verbrechen aufrechtzuerhalten, würde sich die Bundesregierung zu deutsch-namibischen Bildungs- und Forschungsprojekten sowie zu einem Jugendaustausch bereit erklären.

Fraglich ist, ob sich die namibische Seite mit diesen Angeboten zufriedengeben wird. Hinzu kommen die weiter bestehenden Probleme der Bundesregierung mit Vertretern der Herero und Nama, mit denen sie direkte Verhandlungen ablehnt. Viele von ihnen fühlen sich von der namibischen Regierung, die von der aus der marxistisch orientierten Befreiungsbewegung hervorgegangenen Partei SWAPO gestellt wird, nicht vertreten. Die deutsch-namibischen Verhandlungen haben deswegen für sie keine Legitimität. Das hat nicht unbedingt mit einer politischen Abneigung gegenüber der Regierung in Windhoek zu tun. Nachkommen der Genozidopfer argumentieren damit, dass Angehörige ihrer Volksgruppen nicht nur in Namibia, sondern auch in den angrenzenden Ländern Angola, Botswana und Südafrika leben.

Kolonialtruppen des Kaiserreichs hatten im damaligen Deutsch-Südwestafrika zwischen den Jahren 1904 und 1908 Schätzungen von Historikern zufolge den Tod von bis zu 100 000 Herero und Nama zu verantworten. Die Grausamkeit der Deutschen zeigte sich etwa in dem Vernichtungsbefehl des Generalleutnants Lothar von Trotha, der sich auch gegen Frauen und Kinder der Herero richtete. Von Trotha ließ viele Mitglieder dieser Volksgruppe in der Omaheke-Wüste einkesseln und dort verdursten.

Die jeweiligen Bundesregierungen schwiegen viele Jahrzehnte zu diesen Grausamkeiten. Erst 2015 rang sich das Auswärtige Amt dazu durch, von einem Genozid zu sprechen. In dieser Zeit hatten auch die Verhandlungen mit Namibia über die Aufarbeitung der Gräueltaten begonnen. Zu einer Entschuldigung wegen des Völkermordes war die Bundesregierung grundsätzlich bereit, Entschädigungen wurden aber lange verweigert. Aus deutscher Sicht reichten die laufenden Zahlungen für Entwicklungshilfe aus, obwohl nicht garantiert ist, dass diese bei den Nachfahren der Opfer direkt ankommen.

Die Bundesregierung war Anfang dieses Jahres unter zusätzlichen Druck geraten, als Vertreter der Nama und Herero vor einem US-Bundesgericht in New York eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht hatten und unter anderem materielle Wiedergutmachung für die Land- und Viehenteignung forderten. Mitte März kam es zur ersten Anhörung vor dem Gericht. Auch die namibische Regierung hatte kürzlich erklärt, sie erwäge, Deutschland wegen Verletzung der Menschenrechte auf 28 Milliarden Euro Entschädigung zu verklagen.

Die deutschen Regierungsvertreter hatten offensichtlich noch bis vor wenigen Jahren gehofft, dass die Verbrechen irgendwann in Vergessenheit geraten würden. Doch diese haben sich tief in das Gedächtnis der betroffenen Völker eingebrannt. Das zeigt nun auch das Beispiel Tansania. Die Regierung des ostafrikanischen Landes bereitet derzeit ebenfalls Entschädigungsforderungen an die Bundesrepublik vor, wobei sie unter anderem Namibia als Vorbild sieht.

Dabei geht es um die Opfer des sogenannten Maji-Maji-Krieges von 1905 bis 1907 im damaligen Deutsch-Ostafrika. Maji bedeutet Wasser und steht für eine angebliche Medizin, die Schutz und Unverwundbarkeit versprach und namensgebend für den Aufstand wurde. Die Opferzahlen des Krieges schwanken je nach Quelle zwischen mindestens 75 000 und bis zu 300 000 toten Afrikanern. Wie in dem heutigen Gebiet von Namibia hatten die Kolonialtruppen auch die Aufstände in Ostafrika in einem Vernichtungsfeldzug niedergeschlagen.

Die Menschen hatten sich in beiden afrikanischen Gebieten wegen der brutalen kolonialen Ausbeutung erhoben. Mit Einverständnis der Kolonialbehörden konnten deutsche Siedler Land der Herero und Nama enteignen. Einheimische wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet, afrikanische Frauen und Mädchen von den Siedlern vergewaltigt.

In Deutsch-Ostafrika wurde neben der Zwangsarbeit die Erpressung von Steuern unerträglich. Kaum jemand konnte die Abgaben aufbringen. Die Betroffenen wurden dann von der Kolonialmacht hart bestraft. Im Maji-Maji-Krieg setzten die deutschen Truppen auf die Strategie der verbrannten Erde. Ganze Landstriche wurden verwüstet, Dörfer und Felder niedergebrannt. Hungersnöte und Krankheiten waren die Folge.

Während diese Verbrechen in der Bundesrepublik weitgehend unbekannt sind und Berlin sich bislang hierfür nicht einmal entschuldigt hat, erklärte der Theatermacher Konradin Kunze, der sich mit dem Thema befasst, vor wenigen Tagen im Deutschlandradio Kultur, dass in Tansania jedes Schulkind über den Maji-Maji-Krieg Bescheid wisse. Dort wird nicht nur an die Opfer erinnert, sondernd der Krieg gilt auch als erster Schritt zur nationalen Unabhängigkeit.

Möglicherweise steht die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen des Kaiserreichs hierzulande noch am Anfang. Der auf Afrika spezialisierte Historiker Jürgen Zimmerer verwies kürzlich nicht nur auf das mörderische Vorgehen in Tansania und Namibia, sondern auch auf Massaker und »Strafaktionen« in Togo, in Kamerun und in der Südsee.

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