Kampf gegen Verdrängung
Anwaltskanzlei attackiert bezirkliches Vorkaufsrecht in Friedrichshain-Kreuzberg
Rückschlag für den Mieterschutz in Milieuschutzgebieten. In mindestens einem Fall hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auf sein Vorkaufsrecht für Wohnhäuser verzichtet. Das behauptet zumindest die Berliner Anwaltskanzlei Bottermann Khorrami.
Statt an den Bezirk zu verkaufen, können Hausbesitzer auch eine sogenannte Abwendungsvereinbarung unterzeichnen, die die meisten mietsteigernden Sanierungen verbietet. »Der neue Eigentümer hätte zum Beispiel keine Maßnahmen zur Energieeffizienz durchführen können - und das in einem Objekt mit ausschließlich veralteten Elektroheizungen«, sagt Anwalt Uwe Bottermann über den von seiner Kanzlei betreuten Fall. »Das Vorgehen des Bezirks ist fragwürdig und aus unserer Sicht rechtlich unzulässig. Das haben wir dem Bezirk mitgeteilt. Der Bezirk hat dann letztlich auf das Vorkaufsrecht verzichtet«, so der Anwalt weiter.
Doch Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt (Grüne) streut weiter Sand ins Getriebe. Durch die Eintragung sogenannter Auflassungsvormerkungen lässt der Bezirk sein Vorkaufsrecht inzwischen auch in Grundbücher eintragen. Anwalt Uwe Bottermann ist empört: »Das bedeutet unterm Strich, dass der Verkaufsprozess damit blockiert ist. Würde sich diese Praxis verbreiten, hätte dies erhebliche negative Auswirkungen auf Transaktionen und damit auch auf den Wohnimmobilienmarkt Berlin.«
Szenenwechsel. Um kurz nach 21 Uhr geht auf der Kreuzberger Oranienstraße nichts mehr. Eine Spontandemo gegen Verdrängung blockiert die Verkehrsader. »Die Häuser denen, die drin wohnen«, schallt es aus 150 Kehlen. Das Polizeiaufgebot ist beachtlich. Über ein Dutzend Wannen ist vorgefahren. Die Menschen, die lautstark ihr Recht auf Stadt einfordern, waren gerade noch im Club »SO 36«, besprachen bei der zweiten Kiezversammlung, wer gerade verdrängt werden soll, aber auch wo Erfolge zu verzeichnen waren. Maßgeblich organisiert hatte das Treffen das »Bündnis Zwangsräumung verhindern«.
»Wer ist gerade akut von Verdrängung bedroht«, will Moderatorin Sara Walther vom Bündnis wissen. Mehr als ein Dutzend Hände recken sich in der voll besetzten Veranstaltungshalle in die Höhe. Doch zunächst geht es um Erfolge. Alexandra Lack, Inhaberin des Haushaltsbedarfsladens Bantelmann in der Kreuzberger Wrangelstraße, berichtet, wie sie trotz ursprünglicher Kündigung, dank Intervention unter anderem von »Bizim Kiez«, nun einen Dreijahresvertrag bekommen hat. »Wir sind jetzt sehr zufrieden und dankbar für die Unterstützung«, sagt sie.
Eine kleine Sensation ist die Entwicklung rund um die Bäckerei Filou in der Reichenberger Straße. »Seit Dienstag gibt es einen schriftlichen Vorvertrag mit den Eigentümern«, sagt ein Aktivist der Kiezinitiative »GloReiche«, der seinen Namen nicht nennen will. Den Durchbruch brachte nach Protesten ein Termin des Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele mit den Londoner Hauseigentümern am vergangenen Donnerstag. »Am Freitag kam das Angebot für einen langfristigen Mietvertrag«, so der Aktivist. Die Bedingungen sind bemerkenswert: Eine Kündigung von Eigentümerseite sei ausgeschlossen, auch Mieterhöhungen seien nicht vorgesehen. »Die Eigentümer wünschen sich, dass dieser Mietvertrag ein Vorbild für andere bedrohte Gewerbe ist«, so der Vertreter von »GloReiche«.
Neu auf der Liste der gekündigten Kleingewerbetreibenden ist die Änderungsschneiderei Kabacaoglu in der Oranienstraße 35. Zum 31. Mai soll der seit 1985 existierende Betrieb seine Räume verlassen. Für diesen Donnerstag hat das »Bündnis Zwangsräumung verhindern« zu einer Telefonaktion aufgerufen. Sowohl der Hauseigentümer Bauwerk Immobilien als auch die zuständige Hausverwaltung Krasemann Immobilien Management sollen »freundlich und bestimmt« zur Verlängerung des Mietvertrags aufgefordert werden, heißt es im Aufruf.
Am Freitag, den 31. März, fordern die Aktivisten wiederum zum Besuch des Berliner Büros der »Berggruen Holdings« in der Fasanenstraße auf. Stein des Anstoßes ist die gekündigte Buchhandlung »Kisch & Co«, ebenfalls in der Oranienstraße, die auch zum 31. Mai gekündigt wurde. Von 17 auf 20 Euro soll nach dem Willen des Eigentümers die Miete steigen - das kann der Buchladen wirtschaftlich nicht stemmen. Doch dort ist man bereit, zu kämpfen. »Es ist immer wieder überraschend, was das mit den Eigentümern macht, wenn sie direkt mit den Folgen ihres wirtschaftlichen Handelns konfrontiert werden«, sagt Zwangsräumungsverhinderin Sara Walther.
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