Der letzte Linke

Im Kino: »Jean Ziegler - Optimismus des Willens« von N. Wadimoff

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Schriftsteller und Professor, der Schweizer Parlamentsabgeordnete und UNO-Mitarbeiter, der weltweit bekannte Globalisierungskritiker und Menschenrechtsaktivist Jean Ziegler hat sich von seinem ehemaligen Studenten Nicolas Wadimoff mit der Kamera begleiten lassen. Entstanden ist das durchaus distanzierte Porträt eines Überzeugungstäters. Die einen werden Jean Ziegler nach diesem Film gestrig und anachronistisch nennen, die anderen standfest und mutig. Letzteres ist er auf jeden Fall, denn es gibt nicht viele Linke, die sich trauen würden, öffentlich etwa die Einschränkung der Pressefreiheit auf Kuba zu rechtfertigen, wie er es in dieser Dokumentation tut - und wie er es in einem aktuellen Interview mit dem ehemaligen Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« wiederholt: »Eine Revolution wie auf Kuba ist ein Prozess. Der erste Kampf gilt immer der Nahrung, der Versorgung, der Alphabetisierung. Die wünschenswerte Pressefreiheit kommt später.« Auf Kuba, wohin Wadimoffs Dokumentation Ziegler begleitet, werden solche Durchhalteparolen über 50 Jahre nach der siegreichen Revolution allerdings eher verhalten aufgenommen, vor allem von der Jugend.

Zieglers Leben ist durch einen wichtigen Zufall mit der kubanischen Geschichte verbunden: Er war Che Guevaras Chauffeur, als dieser 1964 vor der UNO auftrat. Als er sich der Revolution anschließen wollte, verwies ihn der strenge Guevara auf seinen Platz: Ziegler solle statt in der »Dritten Welt« lieber in seiner Heimat Schweiz (»dem Herzen der Bestie«) den Kampf aufnehmen. Ein Rat, den der heute 82-jährige Ziegler als Autor und Politiker seit dieser Begegnung mit scheinbar nicht versiegender Wut und Energie beherzigt.

Dabei hat er vor allem zwei zentrale, miteinander verwobene Themen: eine globale Machtdominanz der Finanzindustrie und das, wie Ziegler es nennt, »größte Massaker der Welt«, den Hunger. Diese thematische Beschränkung - Ziegler sagt im Film, dass die Thesen aller seiner Reden auf vier Karteikarten Platz finden - ist eine kluge Strategie: Durch die jahrelange Wiederholung haben sich ihm die eingegrenzten Argumente eingebrannt, er kann frei vor Tausenden Menschen sprechen, strahlt Selbstsicherheit und Unbeirrbarkeit aus.

Diese Seite Jean Zieglers ist interessant, aber bekannt. Hinter die Kulissen schaut der Film etwa, wenn Ziegler seine analoge Arbeitsweise beschreibt: handschriftliche Notizen, abtippen mit der Schreibmaschine, schneiden, kleben, korrigieren, noch einmal abtippen. Oder das Geheimnis seiner beständigen Wut: Wenn »die Motivation sinkt«, wie er sagt, sieht er sich Schockbilder hungernder Kinder und Zahlen über die westlichen Profiteure dieses Verbrechens an - »Waffen für den Aufstand des Gewissens« nennt er diese Materialien. Und darauf beruht auch sein stets betonter, etwas naiv erscheinender Optimismus: dem Gewissen der »weltweiten Zivilgesellschaft«.

Ob denn vom politischen Rechtsruck in den USA und Europa nicht die größere Gefahr als von der Bankenmacht ausgehe, fragt der »Spiegel«. »Nein«, sagt Ziegler, die Macht der 500 größten Konzerne sei »unvergleichlich«, im Film bezeichnet er das westliche Demokratiemodell als »simulativ«, die Politiker als reine »Befehlsempfänger«. Ziegler macht keinen Hehl daraus: Er ist ein bekennender linker Populist, und dieses Selbstbewusstsein kann befremdlich, aber auch faszinierend und mobilisierend wirken. Dass die Rechten nun ebenfalls antikapitalistische Parolen bemühten, überrascht ihn dabei keineswegs: »Die Faschisten haben immer versucht, sozialistische Ideen zu kopieren. Sie pervertieren das dann mit ihrer Sündenbockmethode, so wie Erdoğan in der Türkei oder Orbán in Ungarn.«

Jean Ziegler, so wird in dem Film deutlich, ist ein vor Allüren keineswegs gefeiter Star und ein sturer Bock - er ist aber auch ein geschickter Politdarsteller und Stratege, der um seine Wirkung und Rolle weiß und der an einer Stelle, als sei er der letzte Linke, kompromisslos und polemisch um die Beibehaltung des Wortes »Geier-Fonds« in einer UNO-Erklärung kämpft, an anderer Stelle aber extra Kreide frisst, damit ein Vorhaben nicht an seiner kontroversen Person scheitert. Selbstkritik lässt er »so wenig wie möglich« zu: »Das schwächt einen.« Hat sich Ziegler mit diesem Film, der ihn nicht nur sympathisch zeichnet, einen Gefallen getan? Man ist sich nicht sicher. Sicher aber ist, dass die Doku eine weitere Bühne für Zieglers griffige, wichtige Thesen ist, er sie also perfekt für »die Sache« nutzt. Das wird ihm reichen: Im Film lernt man, dass der teils eitel erscheinende rasende Vortragsreisende seine Selbstverliebtheit und -sicherheit nicht nur als persönlichen Tick, sondern auch als Waffe im harten Meinungskampf kultiviert.

nd-Redakteurin Karlen Vesper führt an diesem Donnerstag, 14 Uhr, ein Gespräch mit Jean Ziegler auf der Leipziger Buchmesse (nd-Stand G 406, Halle 5).

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