Nachtschattengewächse des Fußballs
Christoph Ruf meint, dass es den Fußball, den angeblich alle lieben, noch gibt - nur nicht da, wo ihn die meisten suchen
Die Behauptung, dass DFB und DFL üble Halunken sind, gehört zum Allgemeingut des Fan-Katechismus wie die Feststellung, dass morgen auch wieder ein Tag ist. Begründet wird das gerne mit der Haltung zu Pyrotechnik und Stadionverboten. Auch für die vermaledeite Kommerzialisierung - die Fans ja bekanntlich immer dann zuwider ist, wenn sie nicht gerade den Fanartikelkatalog abverkaufen - wird gerne die DFL verantwortlich gemacht. Als Vertreterin von Vereinsmanagern, von denen keiner auf ein bei aktiven Fans so unbeliebtes aber gut vermarktbares Montagsspiel verzichtet, ist das ja auch logisch.
Und der DFB, der doch angeblich neben der Herbeischaffung von Sommermärchen die Ligen drei bis elf im Blick hat? Nun, um herauszufinden, wie es den Nachtschattengewächsen des Fußballs denn so geht und wie sie über den Verband so denken, habe ich das bundesligafreie Wochenende dazu genutzt, um mir die Ligen vier und fünf mal näher anzuschauen. Was es bei Rot-Weiß Oberhausen neben einem sympathischen, nicht ganz doofen und auch nach zwölf Dienstjahren nicht abgeschliffenen Präsidenten zu sehen und zu hören gab, wird in einem halben Jahr zwischen zwei Buchdeckeln zu lesen sein.
Hier nur so viel: Wer im Ruhrgebiet wohnt und zu BVB oder Schalke rennt, mag dafür gute Gründe haben. Aber er muss deswegen noch lange nicht die Slogans der jeweiligen Marketingabteilungen nachbeten, wonach das Ganze dann irgendetwas mit Malochertum zu tun hätte. Eint Nick-Hornby-Nostalgiker nicht das Lamento über den seelenlosen Kommerzfußball, hing nicht vor jeder Ultra-Kurve schon das Transparent »Gegen den modernen Fußball«? Aber was zum Henker erwarten die Leute? Dass der FC Bayern wieder ein paar Sitzplätze renaturiert, weil er lieber auf Logengäste verzichtet statt auf Fans, die sich über Tore gegen Mainz noch freuen? Dass der BVB all die Aubameyangs, Bürkis und Ginters wieder rausschmeißt, weil sie nicht in Dortmund zur Schule gegangen sind wie weiland Emmerich, Zorc und Ricken?
Zumal es im gleichen Nahverkehrsverbund, in dem Dortmund liegt, Vereine wie Rot-Weiß Oberhausen, Rot-Weiß Essen, Westfalia Herne, Wattenscheid 09 und ein paar Dutzend andere gibt, die sich wirklich noch über jeden Zuschauer freuen und die (abgesehen von Essen) noch über Stadien wie vor 50 Jahren verfügen. Das gilt auch für das Stadion des KFC Uerdingen, der 1987 in die Geschichte einging, weil er - damals noch Erstligist - Dynamo Dresden aus dem Europapokal warf.
Das ZDF übertrug live. Ob das geschah, weil man sich noch im Kalten Krieg befand, oder weil irgendein Redakteur einfach keinen Bock mehr auf die Bayern hatte - man entschied sich jedenfalls für das Match des Westvereins, der damals den mit Abstand geringsten Zuschauerschnitt der Bundesliga hatte. »Dresden« - das hatten heranwachsende Westdeutsche möglicherweise schon mal gehört, aber ob die Stadt zum Stollen nun in Polen oder Tschechien liegt, das wusste man als ignoranter Wessi eben nicht so genau. Kurzum: Das Spiel war ein echter Quotenkiller. Doch das vermeintliche Gaga-Match verlief so spektakulär, dass es sich ins kollektive Gedächtnis einer Generation einbrannte. 7:3 gewann Uerdingen, das nach dem Hinspiel 0:2 zurückgelegen hatte und zur Halbzeit fünf Tore zum Weiterkommen brauchte - die es prompt erzielte.
Und 2017? Dass der Stadionname retouchiert wurde, sieht man an der Aufschrift auf dem Beton deutlich. Wo bis 1990 statt dem Grotenburg »Stadion« die »Kampfbahn« stand, ist der Beton heller. 2016 Zuschauer waren am Sonnabend da, darunter gut 70 Gästefans der Spielvereinigung Velbert, die auf der riesigen Gegentribüne doch tatsächlich nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören sind. Man beschimpfte sich angemessen, verzehrte Wurst vom Holzkohlegrill und beömmelte sich über das Maskottchen »Grotifant«, das die meiste Zeit ohne Elefanten-Plüsch-Kopf vor der Fankurve herumhampelte. Ein tolles Spiel war’s auch, was also will man mehr?
Und Dynamo? Die spielten am Sonntag ein Freundschaftsspiel beim FSV Zwickau, der dauerklamme Zweitligist überlässt die Einnahmen dem noch klammeren kleinen Freund aus der Dritten Liga. Eine Fantrennung gibt es nicht, stattdessen schenken die Capos beider Fangruppen zusammen Bier aus. Pro Getränk geht ein Euro in die Vereinskasse des FSV. Uerdingen, Oberhausen, Zwickau - das ist Fußball. Ach, und ein Länderspiel gab’s auch noch am Wochenende.
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