Beendet durch ein »Pling«
Wladimir Jurowski dirigierte im Konzerthaus »sein« RSB
Ein schöner Mann, stolz, freundlich, konzentriert steht er am Pult. Er ist jetzt Mitte vierzig. In Moskau geboren als Sohn des Dirigenten Michael Jurowski, geht die Familie 1990 nach Deutschland. Der Vater, international geschätzt, füllte zuvor Engagements auch an Häusern der DDR aus. Der Junge tritt in seine Fußstapfen. Wladimir studiert in Berlin und Dresden, stellt Ensembles zusammen, dirigiert Neue Musik so gern wie ältere. Steil fortan seine künstlerische Entwicklung. Ab 2001 leitet der junge Russe die Glyndebourne Festival Opera in England, 2007 übernimmt er als Nachfolger von Kurt Masur die Leitung des London Philharmonic Orchestra, seit 2011 leitet er das Staatliche Sinfonieorchester Russland.
Nicht zum ersten Mal steht Wladimir Jurowski vor dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB). Er kennt es aus seinen Berliner Tagen, als er Erster Kapellmeister des Orchesters der Komischen Oper war und sich nicht entgehen ließ, parallel mit den Musikern des RSB zu arbeiten. Auch später, als bereits etablierter Meisterdirigent, tat er solches mehrmals. Sonst hätten ihn die Musiker und Rundfunkverantwortlichen auch nicht erkoren. Wladimir Jurowski wird ab der Saison 2017/18 als Nachfolger von Marek Janowski dem Orchester als Chefdirigent vorstehen.
Keinen Einstand also gab der Dirigent nun im Konzerthaus, sondern ließ abermals sein enormes Können fühlbar werden. Für das einstündige Mozart-Requiem nominierte er vier erfahrenen Solistinnen und Solisten und den traditionsreichen RIAS-Kammerchor. Die lieferten mit dem RSB insgesamt eine fabelhafte Aufführung. Höchst eindrucksvoll das hinaufsequenzierende »Lacrimosa dies illa« mit Chor, jene in Mund und Nase gehende Creme des Werkes, hier schneller als gewöhnlich genommen, was dem Teil guttat. Auch die Dramatik evozierende Pause in der »Kyrie«-Fuge hielt nicht zu lange an. Andere Dirigenten kosten diese Pause aus bis zur Neige.
In die Programmwahl fiel auch die »Maurerische Trauermusik«, ein Sieben-Minuten-Opus von Mozart, das irgendwie auch zur 4. Sinfonie von Arvo Pärt, geboren 1935 in Estland, passte. Gleichfalls eine Art Trauer-Werk. Mit ersterer, nicht zu gefühlig aufgeführt, hob der Abend an, die Pärt-Sinfonie kam in der Mitte.
Pärts Musikbegriff unterlag durchaus Wandlungen, doch seit den 70er Jahren kaprizierte sich sein Musikkonzept dauerhaft auf den »Seelenfrieden« der Ars antiqua, sodass er nur noch wenige Töne dazukomponieren oder herausmontieren musste, um ein Werk sein Eigen zu nennen. Auch pekuniär reich gesegnet, dies Erfolgskonzept. Seither klingen seine Werke wie Hüte aus dem Mittelalter. Seine 2008 komponierte, vielförmig gegliederte »Los Angeles«-Sinfonie, wie er die von der Stadt beauftragte Vierte nennt, hat durchaus mit engelsgleichen Gebilden zu tun. Die schweben in den Streichern, der Harfe. Timpani-Schläge gehen gelegentlich sanft dazwischen. Glockenspiel fehlt nicht, aber es gibt weder Holz- noch Blechbläser. Der gefühlte fünfte Teil seufzt und seufzt in Halb- und Ganztonschritten. Im Schlussteil traut sich der Komponist sogar eine kurze Aufgipfelung zu, beendet durch ein »Pling«.
Jurowski scheint offen noch für die kuriosesten Stile. Warum eigentlich nicht?
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