Ein Partner für die Linke
Fortschrittliche Kräfte sollten sich an den »Pulse of Europe«-Protesten beteiligen, meint Sebastian Weiermann
Die (radikale) Linke steht mal wieder auf dem Bürgersteig, während auf den Straßen in Deutschland eine anschlussfähige Bewegung protestiert. »Pulse of Europe« ist bestimmt kein Projekt für die befreite Gesellschaft, aber eine Bewegung, die den Nationalismus in Europa aufhalten will. Wer in der Gesellschaft kämpfen will, sollte in die Bewegung intervenieren.
Autonome Antifas aus Leipzig hatten vor 13 Jahren eine Kampagne unter dem Motto »Die neue Heimat Europa verraten« initiiert. Es ging um die deutsche Hegemonialstellung innerhalb der EU, anti-amerikanische Ressentiments und darum, dass das gesamte europäische Projekt nicht über Kapitalismus und Nationalismus hinausweist. Heute, 15 Jahre später, sieht es in Europa nicht besser aus. Nach dem Brexit wird die Bundesrepublik eine noch größere Macht innerhalb der EU haben. Die Union insgesamt hat sich nicht positiv entwickelt. Die Außengrenzen stehen den Mauerbauplänen von Donald Trump in nichts nach. Die von Deutschland maßgeblich gestützte Austeritätspolitik hat in den »Krisenstaaten« - vor allem in Griechenland - fürchterliche Folgen. Es gibt also keinen Grund, die Europäische Union im Moment hochleben zu lassen. Der Staatenbund ist ein Teil des Problems.
Allerdings gibt es in quasi allen europäischen Staaten derzeit populistische Strömungen, die vor Jahren nicht absehbar waren. In Großbritannien hat die UKIP den Brexit maßgeblich mit vorangebracht, Geert Wilders holte bei den Wahlen in den Niederlanden die zweitmeisten Stimmen, Marine Le Pen könnte Frankreichs nächste Präsidentin werden, die AfD mit einem zweistelligen Ergebnis in den Bundestag einziehen. All diese Parteien eint, neben Rassismus, eine Feindlichkeit gegenüber der EU.
Dagegen hat sich »Pulse of Europe« entwickelt. Die Bewegung, die es erst seit wenigen Monaten gibt, erlebt derzeit einen Hype. Jede Woche demonstrieren mehr Menschen. »Pulse of Europe« spricht sich für die EU aus. Inhaltlich gibt es von der Bewegung nicht mehr als schwammige »Zehn Punkte«. Darin spricht man sich für Rechtsstaatlichkeit und Grundfreiheiten aus, will Europa lebendiger machen und reformieren. In welchem Bereich wird nicht ausgeführt.
Viele Linke ärgern sich über »Pulse of Europe«. Der Frieden, von dem die Bewegung spreche, vergesse Kriege in Europa. Auch erwähnt »Pulse« weder das europäische Grenzregime noch die Austeritätspolitik. Für noch mehr Unmut sorgen Äußerungen aus dem Organisatorenkreis. Eine Dresdnerin hatte gesagt, dass auch Pegida-Anhänger teilnehmen könnten, wenn sie für ein geeintes Europa seien. Auch dass einer der Initiatoren freudig erklärte, dass von Rechts bis Links alles dabei sei, sorgte nicht für Freude in der radikalen Linken.
Trotzdem gibt es gute Gründe für Linke, sich bei »Pulse of Europe« einzumischen. Seit die »Heimat Europa« verraten werden sollte, haben sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verändert. Nationalistische Parteien sind auf dem Vormarsch. Die Linke, nicht nur in Deutschland, befindet sich in einem Abwehrkampf. In der Auseinandersetzung mit der AfD können die Europa-Fans also durchaus ein Partner sein. Und in den meisten anderen Fragen ist es die Sache von Linken, in die Diskussionen bei »Pulse of Europe« zu intervenieren. Linke können klar machen, dass die europäischen Werte, von denen bei »Pulse« immer wieder die Rede ist, sich am Umgang der EU mit Geflüchteten und Armen messen lassen müssen. Dass aus der EU ein Projekt der sozialen Gerechtigkeit und Freizügigkeit werden muss, um nicht immer neue Krisen hervorzubringen.
Bei vielen Demonstranten wird man damit auf Ablehnung stoßen. Sie profitieren als deutsche Mittelschicht von der EU in ihrer bisherigen Form. Allerdings gehen nicht oft tausende Menschen in Deutschland auf die Straße und weisen gewisse Schnittmengen mit der Linken auf. Natürlich können Interventionen in Bewegungen scheitern, aber die Linke in Deutschland, egal ob als Partei oder radikale Bewegung, hat wenig zu verlieren. Außerdem mag die EU, wie sie ist, kein Traum sein. Als bürgerliche Demokratie lässt sie ihren Bewohnern aber umfassende Rechte in Sachen Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die für den Kampf für eine bessere Zukunft unerlässlich sind. Wie schwer es eine Opposition ohne diese Rechte hat, kann man an den autoritären Projekten an den Rändern Europas beobachten.
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