Schwarz, weiß, grau

»Gemeinsam Erfolg haben oder untergehen« –
Deutschland sucht nach einer Afrikastrategie

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.

Wohin man blickt: Krisen, Gewalt, Terror. 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. 2014 wurden 180 000 Menschen in gewaltsamen Konflikten getötet, 30 000 Terroropfer waren im letzten Jahr zu beklagen, vor allem in Irak, Afghanistan, Nigeria, Syrien und Pakistan. Die Liste der fragilen oder zerfallenden Staaten wird länger: Jemen, Libyen, Mali, Zentralafrikanische Republik, Süd-Sudan. 800 Millionen Menschen hungern. Zehn Prozent der Menschheit besitzen 90 Prozent des Vermögens. 70 Menschen besitzen so viel wie 3,5 Milliarden, also die Hälfte der Menschheit. 20 Prozent der Menschheit verbrauchen 80 Prozent der Ressourcen unseres Planeten.

Diese Fakten des Grauens könnten von einer Hilfsorganisation stammen, die sich gegen die Verzweiflung stemmt. Vorgetragen hat sie nun jedoch Gerd Müller, CSU-Mann und Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Gemeinsam mit der für Verteidigung zuständigen Kabinettskollegin Ursula von der Leyen (CDU) veranstaltete er Mitte der Woche in Berlin eine Konferenz zu Sicherheit, Frieden und Entwicklung in Afrika. Beide haben einen »guten Draht« zueinander, gerade wenn es um die Zukunft Afrikas geht. Dort zeigt sich, dass Entwicklung ohne Frieden und Sicherheit unmöglich ist. Und dass Entwicklung die Grundlage für Frieden und Sicherheit ist. Simpel? Nur scheinbar.

»Ungeachtet aller Kritik von Entwicklungs- und Friedensorganisationen treibt die Bundesregierung die Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit weiter voran und gefährdet damit nicht nur selbst genannte Entwicklungsziele, sondern setzt auch Menschenleben aufs Spiel.« Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, fällt ein hartes Urteil über die Beratungen und die Politik der Regierung. Der von den Ministerien propagierte »vernetzte Ansatz« habe nichts mit Entwicklungs-, sondern nur mit Sicherheitspolitik zu tun. Und sie sei hochgradig riskant für Einzelne: »Die Kooperation mit Militärs rückt Entwicklungshelfer und die Zivilbevölkerung ins Visier bewaffneter Kräfte und gefährdet Menschenleben.«

Doch gibt es nicht auch Grautöne zwischen Weiß und Schwarz? Gemessen zumindest an der kritisierten Strategiekonferenz trifft es nicht zu, dass die Gründe für Elend und Armut ausgeblendet würden. Natürlich bewegten sich die Debatten weit ab vom Imperialismusbegriff. Doch Müller und von der Leyen ist durchaus klar, dass die Destabilisierung von Staaten - nicht zuletzt durch westliche Militärinterventionen und die auf Ausbeutung des Kontinents ausrichtete EU-Handelspolitik - wesentliche Ursachen für Elend in Afrika sind.

Der Kontinent sei nicht arm, sagt etwa Müller. Die Industriestaaten haben es arm gemacht. Sie setzen die alte koloniale Politik in moderner Form fort, bekennt der Bayer. Tunesien beispielsweise produziere hervorragende Zitrusfrüchte. Doch die Produzenten hätten keine Möglichkeit, ihre Produkte in der EU zu verkaufen. Man verweigert ihnen ein Leben auf Basis eigener Leistung. Müller nennt das zurecht »absurd«.

Die Folge? Auch deutsche Steuerzahler müssten aufkommen für Entwicklungshilfe, ohne die Tunesien allzu leicht - wie Nachbarn - im Terrorchaos versinken würde. Es lassen sich durchaus noch drastischere Beispiele der Ausbeutung finden. Im Blick der deutschen Politikstrategen sind derzeit vor allem die sogenannten G5-Sahel-Staaten. Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad haben diese Regionalorganisation 2014 gebildet. Gemeinsam will man Streitkräfte aufstellen und Voraussetzungen für eine wirtschaftlich stabile Entwicklung schaffen.

Niger ist eines der ärmsten Länder Afrikas - und der drittgrößte Uranproduzent der Welt. Seit einem halben Jahrhundert holt der staatliche französische Konzern Areva den Großteil des Urans, das die für Frankreichs Stromversorgung wichtigen Kernkraftwerke befeuert, aus Niger. Gerade Staaten wie Frankreich greifen zugleich immer wieder massiv in die Politik des Kontinents ein.

So war Paris die treibende Kraft beim Sturz des libyschen Diktators Gaddafi; Deutschland verweigerte sich diesem Krieg. Müller steht zu diesem Nein. Frankreich hätte sich fragen müssen, was nach den Bomben kommt? Libyen zerfiel, Militante holten sich Gaddafis Waffen und rückten in Mali vor. Der Dschihad blühte auf, bis nicht nur Mali, sondern auch Niger und die ganze Region auf der Kippe standen. Frankreich schickte abermals Soldaten und forderte EU-Unterstützung. Schließlich initiierten die UN die Blauhelmoperation MINUSMA, an der sich auch Deutschland derzeit mit 800 Soldaten beteiligt. Daneben trainiert die Bundeswehr malische Soldaten im Rahmen einer EU-Mission.

Sprengladungen, so sagte von der Leyen, entschärft man nicht allein mit Worten. Der beste Schutz gegen gesellschaftlichen Zerfall seien Menschen, die an ihre Zukunft glauben. Das aber verlange, die Armut zu bezwingen, Arbeits- und damit Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. Willkür müsse von der Sicherheit des Rechtsstaates - vor dem alle gleich sind - ersetzt werden. »Menschen, denen man das verweigert, machen sich auf den Weg und suchen berechtigt woanders ihr Glück.«

Es scheint, dass die sogenannte Flüchtlingskrise langsam auch in CDU-Regierungskreisen ein neues Nachdenken über Globalisierung erzeugt. Afrika und Europa seien schicksalhaft verbunden, orakelt Müller: Man werde eine gemeinsame Zukunft finden oder gemeinsam untergehen. Von der Leyen nennt die Kontinente Nachbarn, »verbunden durch das Mittelmeer«. Verbunden? Wer nur die »Bekämpfung von Fluchtursachen« fokussiere, greife zu kurz. In Europa und Deutschland habe man Sicherheit und Entwicklung zu lange getrennt betrachtet. Auch dass man eigene Vorstellungen zum Maßstab anderer stilisierte, sei falsch gewesen.

So wie man im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf einen sogenannten Marshallplan »mit«, und nicht »für« Afrika setzt, so ist von der Leyen überzeugt, dass lokale Akteure vor Ort Konflikte besser lösen können als fremde Truppen. Wichtig sei es daher, diese Akteure jeweils individuell in die Lage zu versetzen, für Sicherheit zu sorgen, sodass Entwicklung möglich wird.

Ertüchtigungsinitiative nennt man das und die schließt - schaut man genauer hin - neben Beratung und Ausbildung auch Waffenexporte ein, wie nicht nur die Linkspolitikerin Hänsel kritisiert. Deutschland unterstützt bei seinem »Umdenken« weiter korrupte Regime, die fern von menschenrechtlicher Unbedenklichkeit sind, und füttert so die Rüstungskonzerne.

Die Konferenz, es ist die dritte, die beide Ministerien veranstaltet haben, ließ viele Wünsche offen. Es reicht nicht aus, wenn Regierungen Konzepte wider den gemeinsamen Untergang entwerfen. Statt Retuschen an der gescheiterten Politik braucht es grundsätzliches Umsteuern hin zu mehr Fairness. Was Kompetenz der Hilfsorganisationen und der Opposition erfordert. Die Fakten zwingen zur Eile. Um 250 000 Menschen pro Tag wächst die Weltbevölkerung, das sind 80 Millionen im Jahr, die Essen, Trinken, Nahrung brauchen, um zu überleben. Das geht nicht ohne Bildung und Jobs. Allein die Bevölkerung von Afrika wird sich in den kommenden drei Jahrzehnten verdoppeln. Dann beherbergt der Kontinent mehr als ein Drittel aller Jugendlichen der Welt.

Potsdamer Klimaforscher rechnen vor, dass es bald 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben könnte, wenn das Zwei-Grad-Ziel verfehlt wird. Kriege von Morgen werden nicht nur um die »wahre« Religion und um Bodenschätze geführt, sondern um Wasser und Land. 2050, so Müller, könnte fast die halbe Menschheit unter Wassermangel leiden.

Dem will man mit 130 Milliarden Dollar, die jährlich auf der Welt für Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben werden, wehren? Zum Vergleich: 1750 Milliarden Dollar verschlingen Militär und Rüstung. Eins zu zehn. Und die Schere öffnet sich immer weiter.

»Es ist ganz klar, dass wir mehr in zivile Arbeit und zivile Entwicklung investieren müssen«, so Müller. Er versucht, die anvisierten 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe zusammenzukratzen. Bis 2020 soll das klappen, hofft er. Derzeit liegt man bei 0,51 Prozent. Zugleich will Berlin - auf NATO-Konferenzen mehrfach versprochen - bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Militär ausgeben. Entwicklung und Sicherheit als Paar? Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, welche der beiden Zielsetzungen wahrscheinlicher ist.

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