Fragen & Antworten: Deine Kinder, unsere Kinder? Nein!

  • Lesedauer: 3 Min.

Kinder werden heute meist nicht mehr von Fremden adoptiert, sondern vom neuen Partner der Mutter oder des Vaters. Allerdings geht das nur mit Trauschein, wie der Bundesgerichtshof mit seinem aktuellen Urteil bekräftigt. Ist das aber noch zeitgemäß?

Wie verbreitet sind Adoptionen in Deutschland?

Bei Adoption denken die meisten Menschen zuerst an Paare, die selbst keine Kinder bekommen können und deshalb durch Annahme eines fremden Kindes aus dem In- oder Ausland Eltern werden wollen. Von den zuletzt etwa 3800 Adoptionen im Jahr machen diese Fälle aber nur den kleineren Teil aus, ihre Zahl ist seit Längerem rückläufig. Die meisten Adop- tionen - 61 Prozent im Jahr 2015 - sind inzwischen solche, bei denen der neue Mann der Mutter oder die neue Frau des Vaters das Stiefkind als ihr eigenes annehmen. Oft geht es darum, nach einer Trennung oder Scheidung die Verhältnisse neu zu regeln.

Welche rechtlichen Regeln gelten dafür?

Grundsätzlich kann ein Kind adoptieren, wer mindestens 25 Jahre alt ist. Eine Obergrenze gibt es nicht, die Jugendämter achten aber darauf, dass der Altersabstand in etwa dem natürlichen entspricht. Eheleute können nur gemeinsam ein Kind adoptieren. In Ehen und gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, in denen einer der Partner bereits ein Kind hat, kann der andere durch Adoption dessen zweiter Elternteil werden. Will zum Beispiel der neue Mann der Mutter seinen Stiefsohn adoptieren, geht das nur, wenn der leibliche Vater zustimmt. Kinder, die älter als 14 sind, müssen selbst einwilligen. Denn durch die Adoption werden die alten Verwandtschaftsbeziehungen gelöst. Das Kind bekommt den gleichen Status wie ein eigenes.

Worin liegt das Problem bei der vor dem BGH klagenden Familie?

Für unverheiratete Paare sieht das Gesetz keine Stiefkind-Adoption vor. Der Mann könnte zwar theoretisch die beiden Kinder adoptieren, das hätte aber zur Folge, dass seine Lebensgefährtin rechtlich nicht mehr die Mutter wäre. Der gesellschaftliche Wandel wirft die Frage auf, ob das noch zeitgemäß ist. Denn viele Ehen halten nicht mehr fürs Leben. Gleichzeitig leben immer mehr Paare ohne Trauschein zusammen, auch mit Kindern. Nach den aktuellsten Zahlen von 2015 sind in gut jeder zehnten Familie mit Kindern unter 18 Jahren die Eltern nicht verheiratet. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die Zahl dieser Familien von 449 000 (1996) auf 836 000 fast verdoppelt.

Was haben die Richter im aktuellen Fall entschieden?

Sie kamen dem Wunsch der beiden Unverheirateten nicht nach und wiesen die Rechtsbeschwerde ab. Die gesetzlichen Regelungen seien eindeutig, heißt es im Beschluss. Nach Auffassung des Familiensenats verstoßen diese Regelungen auch nicht gegen Grund- oder Menschenrechte. Der Gesetzgeber dürfe Paare mit und ohne Trauschein durchaus unterschiedlich behandeln. Denn auch der gesellschaftliche Wandel ändere nichts daran, dass sich die Ehe von einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft rechtlich deutlich abhebe. Außerdem stehe es jedem frei, die Ehe zu schließen. Das Argument, dass dann die Witwenrente wegfalle, ließen die Richter nicht gelten.

Was bedeutet das für andere Familien?

Nach den Erfahrungen des Bundesverbands der Pflege- und Adoptivfamilien geht es oft nicht in erster Linie darum, den Familienzusammenhalt zu stärken. »Die meisten Kinder nehmen ihren sozialen Vater auch so als ihren Vater an«, so Carmen Thiele. Hauptmotivation für den Adoptionswunsch sei oft, dass der neue Partner auch sorgerechtlich Verantwortung übernehmen möchte - um beispielsweise Entscheidungen treffen zu können, wenn die Mutter nach einem Unfall unerwartet im Krankenhaus liegt. Reformbedarf sieht Thiele vor allem hier. »Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Stiefkind-Adoptionen deutlich zurückgehen würde, wenn der Gesetzgeber die Sorgerechtswahrnehmung anderweitig ermöglichen würde.« dpa/nd

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