Linker Mélenchon holt auf: Dritter Platz
Linksaußen mischt laut neuesten Umfragen den Wahlkampf in Frankreich auf / Nächstes TV-Duell am Dienstagabend
Paris. Dass Jean-Luc Mélenchon noch einmal einen Wahlkampf in Frankreich aufmischen könnte, hatte lange keiner für möglich gehalten. Der Linksaußen, der bei der Präsidentschaftswahl 2012 für Furore gesorgt hatte, schien seinen Zenit längst überschritten zu haben. Doch jetzt wirbelt der 65-jährige Gründer der französischen Linkspartei wieder das Rennen um den Elysée-Palast auf, in Umfragen ist er im Aufwind. Laut der jüngsten Erhebung von SCANRESEARCH-LETERRAIN steht er mit rund 19,5 Prozent auf Platz drei, direkt hinter der extrem Rechten Marine Le Pen (24 Prozent) und dem Sozialliberalen Emmanuel Macron (24,5 Prozent) – und vor dem linken Sozialdemokraten Benoît Hamon sowie dem Konservativen Francois Fillon. Bei der zweiten TV-Kandidatendebatte am Dienstagabend dürfte Mélenchon mit seiner rhetorischen Schärfe, seiner polternden Großmäuligkeit und seinem Wortwitz häufig im Mittelpunkt stehen.
An Mélenchon scheiden sich die Geister: Die einen verehren ihn als Verteidiger des einfachen Volkes und Kämpfer für linke Ideale, die anderen verdammen ihn als Populisten und ewiggestrigen Provokateur. Kalt lässt Mélenchon jedenfalls niemanden in Frankreich.
»Seine Stärken können seine Schwächen sein«, sagt ein langjähriger Wegbegleiter. »Er ist authentisch, fordernd, unnachgiebig. Auf die Spitze getrieben ist er fanatisch, hart, cholerisch und manchmal pöbelhaft.«
Mélenchon teilt gerne aus, gezielt provozierend, häufig sehr grob. »Maul zu, Frau Merkel«, twitterte der Europaabgeordnete einmal, wohlgemerkt auf Deutsch, als die Bundeskanzlerin Frankreich mehr Reformen nahelegte. Auch die Politik des sozialistischen Staatschefs François Hollande hat er immer wieder scharf attackiert.
Der Anhänger des französischen Revolutionärs Robespierre und des verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez nimmt für sich in Anspruch, »Klartext« zu reden: »Mit dem Aussehen eines Kommunionkindes und einer Flötenstimme kann man nicht das vorschlagen, was ich vorschlage«, sagte der wortgewaltige Ex-Senator kürzlich. »Manchmal hat man keine Wahl: Man muss die Türen mit Fußtritten aufstoßen.«
Für Mélenchon – Wahlkampfslogan »Das unbeugsame Frankreich« – sind Neoliberalismus und europäische Sparvorgaben für Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise verantwortlich. Die EU-Verträge will er neu verhandeln oder aufkündigen, womöglich den Euro aufgeben. Mit einem 100 Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm will er die Wirtschaft ankurbeln, Mindestlohn und Sozialleistungen erhöhen, das Rentenalter senken.
Der studierte Philosoph hat mit seinem Wahlprogramm viele Linkswähler für sich gewonnen, die sich während Hollandes Amtszeit enttäuscht von den Sozialisten abgewandt haben. Laut einer Umfrage verkörpert Mélenchon für die Franzosen am besten die Linke.
Der sozialistische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon kommt dagegen laut SCANRESEARCH-LETERRAIN nur auf 9,0 Prozent. Das reicht noch lange nicht, um in die Stichwahl am 7. Mai zu ziehen. Immer wieder haben die Sozialisten an Mélenchon appelliert, sich Hamon anzuschließen und auf eine eigene Kandidatur zu verzichten. Denn zusammengerechnet kommen die beiden auf rund 28,5 Prozent - also sogar mehr als der Mitte-Kandidat Emmanuel Macron und die Rechtspopulistin Marine Le Pen, die die Umfragen anführen.
Doch Mélenchon will davon nichts wissen. Er hat sogar selbstbewusst als Devise ausgegeben, den drittplatzierten Konservativen François Fillon zu überholen.
Dass er derzeit vor Hamon liegt, muss Mélenchon mit großer Genugtuung erfüllen. Denn der im marokkanischen Tanger geborene Politiker war selbst drei Jahrzehnte Mitglied der Sozialistischen Partei. 2008 kehrte er den Sozialisten, die ihm nicht mehr links genug waren, den Rücken zu und gründete die Linkspartei. Als deren Kandidat holte er bei der Präsidentschaftswahl 2012 höchst beachtliche elf Prozent.
Dieses Ergebnis will Mélenchon, der den Vorsitz der Linkspartei 2014 abgab, jetzt noch einmal verbessern. »Sei einigen Tagen sind die Horoskope mir wohlgesonnen«, witzelte er am Wochenende vor tausenden Anhängern. »Es ist wie der Frühling: Man sieht ihn nicht kommen, und auf einmal sind die Blumen da.« AFP/nd
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