Die Armut geht in Deutschland nicht zurück

EU-Kommission rügt Bundesregierung wegen unsozialer Verteilungspolitik

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

»Trotz der guten Arbeitsmarktentwicklung in den letzten Jahren ist die Armut nicht zurückgegangen.« Dieser Satz stammt nicht aus der Feder der linken Opposition oder von Sozialverbänden. Er kommt direkt aus Brüssel. In ihrem aktuellen Länderbericht für Deutschland konstatiert die Europäische Kommission eine tiefe Spaltung zwischen Arm und Reich. Trotz der insgesamt positiven Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung der letzten Jahre hätten die Einkommensunterschiede zugenommen und schwächten sich erst seit Kurzem ab, während die Ungleichheit bei der Vermögensverteilung nach wie vor eine der größten im Euroraum sei.

Und das Problem ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Die Brüssler Behörde macht vor allem die Koalitionen unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dafür verantwortlich: »Im Zeitraum 2008 bis 2014 hat die deutsche Politik in hohem Maße zur Vergrößerung der Armut beigetragen.« Als Grund macht die Kommission aus, »dass die bedarfsgerechten Leistungen real und im Verhältnis zur Einkommensentwicklung gesunken sind«. Konkret heißt das, dass Hartz-IV-Regelsätze, Wohngeld und BaföG nie der Realität angepasst wurden.

So rügte das Bundesverfassungsgericht bereits 2010 die intransparente Berechnung der Hartz-IV-Sätze. In der daraufhin nötig gewordenen Reform strich die damalige Arbeits- und jetzige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eine Reihe von Posten wie Schnittblumen oder Restaurantbesuche aus dem zur Berechnung herangezogenen Katalog mit Dingen, die sich auch ein ALG2-Empfänger leisten können muss. Sozialverbände und Opposition warfen der Ministerin damals vor, die Regelsätze damit kleinrechnen zu wollen.

Für LINKE-Ko-Vorsitzende Katja Kipping kommt die jetzige Kritik an Brüssel im anlaufenden Bundestagswahlkampf »gerade im rechten Augenblick, und ist für ein wohlhabendes Land wie Deutschland besonders peinlich«. Kipping verweist darauf, dass ihre Partei »schon lange für eine Umkehr in der Steuer- und Sozialpolitik« plädiere, »die eine Umverteilung von Vermögen in Milliardenhöhe und den Schutz vor Armut aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland garantiert«.

Als konkrete Maßnahmen nennt Kipping zum Beispiel eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1050 Euro und »die Abschaffung des erniedrigenden Hartz-IV-Regimes« sowie die Einführung einer Besteuerung von Vermögen ab einer Millionen Euro in Höhe von fünf Prozent. All diese Änderungen hin zu »einer sozial gerechten Gesellschaft« seien möglich. »Nicht mit der GroKo, denn die hat den Stillstand in diesem Land salonfähig gemacht, aber mit einem Mitte-Links-Bündnis, das die überfälligen Veränderungen, die sich die Menschen wünschen, auch umsetzen wird«, so Kipping.

Wie wichtig eine gerechte Steuerpolitik im Kampf gegen die Kluft zwischen Arm und Reich ist, zeigt auch die Kritik aus Brüssel: »Eine Reihe früherer Änderungen bei Steuern und Sozialabgaben könnten ebenfalls zu einem Teil für die nachlassende Wirkung der Umverteilungsmaßnahmen verantwortlich sein.« Die Kommission nennt etwa die Abschaffung der Vermögenssteuer 1997, die Absenkung des Spitzensteuersatzes von 53 Prozent im Jahr 2000 auf 42 im Jahr 2004 und die pauschale Besteuerung der Kapitalerträge seit 2009, die dazu beigetragen hätten, »den progressiven Charakter des Steuersystems zu verringern, und die Einkommensunterschiede zu erhöhen«.

Besonders bei Senioren und Kindern sieht die Kommission Handlungsbedarf. So sei hinsichtlich der Renten und Pensionen »künftig mit einer Verschlechterung der Lage zu rechnen«. Geringverdiener oder Menschen, die nicht lückenlos berufstätig waren, liefen Gefahr, nicht genügend staatliche Rentenansprüche zu erwerben. Vor allem aber ist die Armutsgefährdungsquote für Kinder hierzulande seit dem Jahr 2006 um 2,2 Prozent auf 14,6 Prozent gestiegen. Einen wichtigen Grund dafür sieht Brüssel in der hohen Armutsgefährdungsquote alleinerziehender Eltern, die zuletzt bei einem Drittel lag.

Auch dieses Problem verschärfe die derzeitige Politik noch: So würden Leistungen wie der Kinderfreibetrag »vor allem Familien der Mittel- und Oberschicht zugute« kommen, »da die Freibeträge entsprechend dem einkommen der Eltern steigen«, wie die Kommission schreibt. Gleichzeitig zähle das Kindergeld bei Sozialleistungsbeziehern zum Einkommen und werde auf die Grundsicherung angerechnet.

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