Eine Aschenputtel-Geschichte
Die deutschen Eishockeyspielerinnen erreichen unerwartet das Halbfinale der Weltmeisterschaft, in dem sie nun auf Gastgeber USA treffen
Marie Delarbre wähnte sich in einem Märchen. »Es ist einfach fantastisch«, sagt die Stürmerin nach dem sensationellen Halbfinaleinzug der deutschen Eishockeyspielerinnen bei der WM in den USA. Die Aschenputtelgeschichte geht weiter.
USA-Legionärin Delarbre erzielte beim 2:1 (0:1, 1:0, 1:0) im Viertelfinale gegen Russland den Siegtreffer und trug dazu bei, dass das Team von Benjamin Hinterstocker dem Turnier seinen Stempel aufdrückte. Nie zuvor war ein deutsches Frauenteam bei einer WM in die Runde der letzten Vier eingezogen. Am Donnerstag warten nun die Gastgeberinnen.
Die dürften allerdings gewarnt sein. »Cinderella Team« nennen die Amerikaner die Deutschen - und das vollkommen zurecht. Schließlich sorgten Delarbre und Co. mit dem Halbfinaleinzug für das bisher beste Ergebnis eines Aufsteigers bei einer WM und schlugen dabei so ganz nebenbei Kaliber wie den Olympiavierten Schweden (3:1) oder Tschechien (2:1).
Ein Sieg fehlt noch zur allerersten Medaille - fast könnte man glauben, bei all dem Jubel gerate die verpasste Olympiaqualifikation im Februar bereits in Vergessenheit. Doch gerade das knappe Scheitern scheint das Team nun erst so richtig anzustacheln.
»Wir waren alle ganz schön fertig. Aber das ist das Leben. Kopf hoch und weitermachen, etwas anderes blieb uns nicht übrig«, sagt Delarbre. Franz Reindl drückt zu Hause die Daumen. »Die Ergebnisse jetzt zeigen, dass die Mannschaft bereit ist für mehr«, sagt der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB).
»Die Mädchen haben große Qualität, sie wollen sich verbessern. Wir haben zwölf Soldatinnen bei der Bundeswehr, die unter Profibedingungen trainiert und geschult werden«, so Reindl. Gleich sieben Spielerinnen stehen im Ausland unter Vertrag. Delarbre zum Beispiel ist für die Merrimack Warriors in der US-Collegeliga unterwegs.
»Ich hoffe, dass wir diesen Erfolg fortsetzen können«, formuliert Trainer Hinterstocker ganz vorsichtig die Erwartungen an seine Schützlinge. Der 37-Jährige erntet in Plymouth die ersten Früchte einer mutigen Entscheidung. Nach dem siebten Platz bei den Olympischen Spielen in Sotschi machten die Verantwortlichen einen radikalen Schnitt und beförderten alle 1996 geborenen Mädchen der U18-Nationalmannschaft kurzerhand in die Frauenauswahl.
»Wir können jetzt sagen, dass wir damals den richtigen Entschluss gefasst haben. Die Mädchen brauchten die drei Jahre, um Erfahrung zu sammeln«, so Hinterstocker: »Manchmal geht es schneller, und manchmal dauert es eben länger. Aber jetzt zeigen wir endlich, was in uns steckt.«
Gerade mental beweist das Team derzeit große Stärke. »Wir haben nie aufgegeben. Wir glauben einfach an uns. Nach dem guten Start ins Turnier haben wir nichts zu verlieren, der Gegner hat den ganzen Druck«, sagt Torhüterin Jennifer Harss (ERC Sonthofen).
Auch das Gegentor der Russinnen brachte die deutsche Auswahl nicht aus der Ruhe. Nach dem Ausgleich durch Kerstin Spielberger (35.) war Delarbre zur Stelle. Der Underdog schlug erneut zu. Nun scheint alles möglich. SID/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.