Kanzlerin zeigt Flagge

Großzügig fördert der Staat die Schifffahrt - nun will die Regierung endlich Gegenleistungen sehen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit längerem schütten Bund und Länder ihre Füllhörner über der maritimen Wirtschaft aus. Nun erinnerte die Kanzlerin auf der diesjährigen Nationalen Maritimen Konferenz in Hamburg die Branche an frühere Zusagen. Angela Merkel fordert: mehr Schiffe unter deutscher Flagge. Nach Angaben des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie fuhren zuletzt nur noch 340 Schiffe unter Schwarz-Rot-Gold - zugesagt hatten die Reeder einmal 600 Schiffe.

In den 1990er Jahren waren Globalisierung und Welthandel richtig ins Rollen geraten. Reeder, Werften und Häfen erlebten einen geradewegs historischen Boom. Die Zahl der bundesdeutschen Schiffe verdoppelte sich bis zum Jahr 2010 auf 3716. Deutschlands Handelsflotte wuchs zu einer der größten der Welt heran, bei Containerschiffen gar zur Nummer eins. Heute gehört jeder dritte Containerfrachter - die Lastesel der Globalisierung - deutschen Eigentümern.

Ermöglicht hatte den Aufschwung ein »Maritimes Bündnis« aus Politik, Unternehmen, Banken, Gewerkschaften und Wissenschaft. Das erste, von Bundeskanzler Gerhard Schröder veranlasste Gipfeltreffen fand im Jahr 2000 im ostfriesischen Emden statt. Angetrieben wurde das maritime Hoch auch von der Politik: durch die 1998 eingeführte Tonnagesteuer, die günstige pauschale Besteuerung für Schiffe. Im Gegenzug erwartete die Bundesregierung, dass 20 Prozent der Handelsflotte unter deutsche Flagge kommen. Erreicht wurde das Ziel nie - gemessen an der Tonnage sind es heute nur noch rund 5 Prozent.

Darauf angesprochen, verweisen Reeder auf die jahrelange Schifffahrtskrise und die globale Konkurrenz, auf die Kosten der deutschen Flagge und den höheren bürokratischen Aufwand. Tatsächlich hat Liberia durch ein US-Unternehmen seine Flagge zum erfolgreichen Billigheimer-Geschäft ausgebaut - mit einem Dutzend Niederlassungen weltweit, auch in Hamburg. Ein Drittel der deutschen Flotte fährt unter dem Sternbanner des westafrikanischen Staates. Doch auch in der Europäischen Union entstanden Regulierungsoasen. 12 Prozent der deutschen Schifffahrt setzen auf das gewinnorientierte portugiesische Madeira-Register »MAR«. Geleitet wird der Dienstleister übrigens von einem früheren Referenten des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf.

Das Ausflaggen ist selbst in der Schifffahrtsbranche umstritten. Reederei-Riesen wie Hapag-Lloyd oder Zwerge wie die Ems AG setzen weitgehend auf Schwarz-Rot-Gold. Nun hat die Bundesregierung im Umfeld der 10. Nationalen Maritimen Konferenz, die diese Woche in Hamburg stattfand, noch einmal nachgelegt, um den Reedern das Zurückflaggen zu versüßen: Nachdem ihnen schon die Lohnsteuer der Seeleute geschenkt wurde, werden künftig auch die Sozialabgaben erlassen. Die Summe dieser Subventionen beträgt nach Schätzungen der Gewerkschaft ver.di rund 130 Millionen Euro jährlich.

»Das ist ein schmaler Grad zwischen Ordnungspolitik und Wettbewerbsgleichheit«, sagte Bundeskanzlerin Merkel in Hamburg. »Der Einsatz der Bundesregierung sollte jetzt Niederschlag in der deutschen Flagge finden.« Für die Forderung gab es von der Mehrzahl der etwa 700 Teilnehmer aus der gesamten maritimen Wirtschaft in der klassizistischen Handelskammer starken Applaus.

Dabei geht es in der Flaggenfrage nur am Rande um Prestige oder Steuereinnahmen. Es geht vor allem um Jobs. Mit der Registrierung in Deutschland sind die lohnintensive Beschäftigung deutscher und westeuropäischer Seeleute sowie die Ausbildung des Nachwuchses eng verbunden. Und das ist für den mit 50 Milliarden Euro Umsatz laut Merkel »sehr, sehr wichtigen Wirtschaftszweig« von zentraler Bedeutung. Seeleute werden benötigt als Hafenlotsen, für die Hightech-Zulieferindustrie von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern sowie für den Ausbau der Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee.

Hier setzt eine Kritik der Gewerkschaften an. Die IG Metall kritisiert eine falsche Prioritätensetzung der Politik und fordert in einem Sieben-Punkte-Papier, die Deckelung der Windkraft aufzuheben und den Bau von Errichterschiffen und Plattformen zu fördern. Im Ergebnis, berichtet eine Betriebsrätin, lasse Siemens seine teuren Umspannplattformen lieber in Spanien und Dubai bauen als auf deutschen Werften.

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