Nicht für eine Handvoll Dollar

Rüde oder doch rassistisch? Wie »United Airlines« half, Chinesen gegen die USA aufzubringen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Früher hätte das Management von »United Airlines« zumindest Stunden Zeit gehabt, um den Imageschaden von der weltweit viertgrößten US-Fluggesellschaft abzuwenden. Doch im Zeitalter von Smartphones und sozialen Medien hatte die Maschine noch nicht die Startbahn des Flughafen Chicago erreicht, da war weltweit zu sehen, wie rüde man mit einem Passagier umgegangen ist.

Millionen sahen fast in Echtzeit, wie drei Flughafenpolizisten einen älteren Mann gewaltsam aus seinem Sitz reißen. Der schreit, wehrt sich. Er hat Blut im Gesicht, als man ihn am Boden liegend durch den Gang zu Tür schleift. »Mein Gott! Was machen Sie mit ihm?«, empört sich eine Frau im Videoton.

Was war passiert? Eigentlich etwas, das in den USA ziemlich normal ist. Der United-Flug 3411, der am Sonntagabend von Chicago nach Louisville in Kentucky starten sollte, war überbucht. Zudem wollte die Fluggesellschaft auch noch vier zusätzliche Crew-Mitglieder mitnehmen, weil diese am nächsten Morgen in Kentucky sein mussten. Auch wer hierzulande am Freitagnachmittag oder am Wochenanfang einen Lufthansa-Inlandsflug gebucht hat, staunt über den nicht selten enormen internen Transportbedarf der Airline.

In Chicago geschah nun Folgendes: United Airlines suchte nach Passagieren, die bereit waren, ihren Platz abzugeben - gegen ein Aufgeld von 400 Dollar sowie eine kostenlose Hotelübernachtung. Niemand meldete sich. Man verdoppelte das finanzielle Angebot. Niemand meldete sich.

Im vergangenen Jahr mussten in den USA nach offiziellen Angaben fast eine halbe Million Fluggäste zurückbleiben, obwohl sie einen Flug ordnungsgemäß gebucht und bezahlt hatten. In der Regel kann man deren Unmut durch Gutscheine oder Freiflüge zerstreuen. Doch diesmal klappte das nicht. Vielleicht, weil die Airline die für solche Fälle vorgesehene Höchstsumme von 1350 Dollar gar nicht erst angeboten hat? Lieber loste United Airlines vier Passagiere aus und forderte die dann ultimativ auf, das Flugzeug zu verlassen.

Drei gehorchten, doch ein 69-Jähriger weigerte sich, seinen Platz für eine Handvoll Dollars zu räumen. »Überhaupt nicht rebellisch« sei er gewesen, bezeugen Passagiere. Der Mann habe darauf hingewiesen, dass er von Beruf Arzt sei. »Auf mich warten morgen Patienten. Ich muss zurück nach Louisville und bleibe im Flugzeug.« Die hilflose Kabinenbesatzung rief die Flughafenpolizei und die sorgte dafür, dass nur die zulässige Passagieranzahl an Bord blieb.

Die zuständige Behörde beurlaubte inzwischen einen Sicherheitsmann - bis zur Klärung der Vorfälle. Oscar Munoz, der Vorstandsvorsitzende von United Airlines, entschuldigte sich über Twitter: Das Verhalten des Polizisten ärgere alle bei United. Er werde sich mit dem betroffenen Passagier in Verbindung setzen. Munoz stellte sich aber auch hinter seine Crew. Der Mann habe »Unruhe« gestiftet und sei »streitlustig« gewesen. Die Angestellten müssen dann klaren Vorgaben folgen, erklärte Munoz.

Inzwischen hat das US-Verkehrsministerium eine Untersuchung angekündigt. Kein Wunder, denn der Imageschaden galoppiert um die Welt. Bereits am Dienstagnachmittag war der entsprechende Hashtag für lange Zeit das wichtigste Thema auf Weibo, Chinas Twitter-Äquivalent. Dem folgen 250 Millionen User. Der Vorfall in Chicago wurde umgehend mit 95 000 Kommentaren versehen.

Dazu beigetragen hat wohl, dass der so grob angefasste Passagier seiner Abstammung nach Chinese ist. Das, so glaubt er, war der eigentliche Grund, dass man ausgerechnet ihn zum Verlassen der Maschine aufgefordert hat. Auch »Renmin Ribao«, mit einer Auflage von 2,5 Millionen Exemplaren die wichtigste Zeitung der regierenden Kommunistischen Partei in China, zeigte Fotos des blutenden Passagiers. Da war der Hinweis, seht, so ist Amerika, gar nicht mehr notwendig.

Im EU-Raum wird einem Passagier, der wegen Überbuchung nicht befördert werden kann, der komplette Flugpreis erstattet. Auf Wunsch muss die Gesellschaft einen Ersatzflug anbieten. Der zusätzliche finanzielle Ausgleich richtet sich nach der Länge der Flugstrecke und der erlittenen Verspätung.

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