Türkei: Gysi befürchtet Wahlbetrug

Wahlbeobachter werden behindert: OSZE beklagt Einschüchterungen gegenüber türkischen Bürgerrechtlern / Trittin: »Es geht um Demokratie oder Diktatur«

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Der Leiter der OSZE-Wahlbeobachtermission in der Türkei, Michael Link, sieht vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei deutliche Einschränkungen für seine türkischen Kollegen. Beispielsweise habe die Wahlbehörde einigen türkischen Bürgerrechtlern die Akkreditierung als Wahlbeobachter verweigert, sagte Link in dem Interview. »Der verhängte Ausnahmezustand wirkt sich hier negativ aus, zusätzlich zu den politischen Einschüchterungen durch die Regierungsseite.« Für die OSZE-Beobachter sei hingegen weder die Zahl der Beobachter noch die Bewegungsfreiheit eingeschränkt worden. Die türkische Regierung arbeite mit Vertretern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa »professionell und gut« zusammenarbeite. Dies treffe auf die einheimischen Beobachter nicht zu, sagte Link der »Augsburger Allgemeinen«. »Sie unterliegen konkreten Einschränkungen, mehr als bei früheren Wahlen.«

Link zufolge wurden in den vergangenen Wochen die Benachteiligungen der Regierungsgegner klar sichtbar: Die Anhänger der Nein-Kampagne hätten »oft große Schwierigkeiten, ihre Veranstaltungen regulär abzuhalten«. Es habe häufig den Fall gegeben, dass eine angemeldete und genehmigte Versammlung der Gegner »doch noch untersagt oder behindert wurde« oder dass plötzlich Polizei auftauchte und sich die Teilnehmer eingeschüchtert fühlten. »In einer solchen Atmosphäre ist es für die Bürger schwierig, sich frei zu informieren«, sagte Link.

Bei dem Referendum am Sonntag stimmen die Türken über die Einführung eines umstrittenen Präsidialsystems ab. Der autoritär agierende Präsident Recep Tayyip Erdogan würde durch die entsprechende Verfassungsänderung deutlich mehr Macht bekommen. Daher blickt man auch in den Bundestagsparteien mit großer Sorge auf den Wahlsonntag in der Türkei.

Wie die »Saarbrücker Zeitung« meldet, hält der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, einen Wahlbetrug für möglich. Zu befürchten sei, dass Erdogans »Präsidialdespotie auch dann von ihm als von der Mehrheit beschlossen ausgegeben wird, wenn in Wirklichkeit die Mehrheit dagegen ist«, meinte Gysi. »Dafür spricht schon, dass die internationale Wahlbeobachtung in den Kurdengebieten stark eingeschränkt wurde.« Der grüne Außenpolitiker Jürgen Trittin meinte: »Es geht um die Frage Demokratie oder Diktatur«. Würden die Ja-Sager gewinnen, sei dies das »vorläufige Ende von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Dann müssen die Beziehungen mit Ankara komplett neuvermessen werden«, meinte Trittin. Die Bundesregierung müsse dann alle Rüstungsexporte in die Türkei stoppen.

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, verwies auf mögliche Belastungen für die NATO, sollte das Referendum zugunsten Erdogans ausgehen. »Damit würde sich ein geostrategisch wichtiger Partner wie die Türkei immer weiter von den westlichen Werten entfernen«. Natürlich hoffe er auf ein Scheitern des Referendums, sagte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach dem Blatt. »Aber auch für diesen Fall fürchte ich, dass die Spannungen in der Türkei nicht nachlassen werden und die türkischstämmigen Mitbürger in Deutschland gespalten bleiben«, so Bosbach. »Auf diese Weise importieren wir politische Konflikte, die leider auch viel zu oft mit Gewalt ausgetragen werden«. Agenturen/nd

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