Andere Länder, andere Fritten
Christoph Ruf hat sich über Ostern unter die Fußballfans in den Niederlanden gemischt - und es genossen
Das Leben als Sportjournalist hält in der Regel am Wochenende wenige Überraschungen bereit, man ist halt in irgendeinem Stadion. Was läge also näher, als am Osterwochenende einfach mal blau zu machen, einen Kollegen in der Ferne zu besuchen und mit ihm ein paar Fußballspiele anzuschauen?
Besagter Kollege wohnt in den Niederlanden und ist nebenberuflich passionierter Groundhopper. Fünf Spiele in 48 Stunden sind da kein größeres Problem. Und als Horizonterweiterung lässt sich so eine Reise auch dann bestens vor sich selbst rechtfertigen, wenn man für kein Geld der Welt auch nur ein paar Minuten in Gegenwart der Horden an Jung-Deutschen verbringen würde, die wegen des süßlichen Geruchs gen Westen reisen, nur um dann grölend den Beweis zu erbringen, dass sich Horizonte nicht verschieben lassen, wenn vor dem Kopf ein Brett ist.
Den ersten Erkenntnisgewinn für mich gab es hingegen schon bei den Einführungsgesprächen. Karten zu bekommen, ist hier im flachen Land eine Wissenschaft für sich, die Geschick, Geduld und Geld erfordert. Ein Fan von Mannschaft B kann nämlich nicht so einfach in Stadt A fahren und sich am Kassenhäuschen ein Ticket für den Gästeblock besorgen. Denn der ist ein hermetisch abgeriegelter Bereich, den nur Menschen betreten dürfen, die sich am Heimatort registrieren ließen und sich vor Ort eine Karte gekauft haben. Ein Ajax-Fan berichtete, wie das läuft: Man muss sich vor der Saison bei Ajax Amsterdam als Auswärtsfahrer registrieren lassen, gibt ein paar Kilo Datenwust und eine Gebühr ab. Zusätzlich verpflichtet man sich schriftlich, mindestens ein Auswärtsspiel in der Vor- und eines in der Hinrunde zu besuchen. Tut man das dann nicht, verliert man das Recht, Auswärtsfan zu sein.
Spielt nun aber Ajax in Den Haag, müssen alle Ajax-Fans von der Arena in Amsterdam aus gemeinsam mit Bussen nach den Haag fahren. Ein Ajax-Fan, der zwei Kilometer neben dem Stadion in Den Haag wohnt, muss also erst mal nach Amsterdam, um von dort aus zum ADO-Stadion zu fahren. Nach dem Spiel darf er nicht nach Hause laufen, sondern muss wieder den Umweg über die Amsterdamer Arena nehmen.
Verrückt? Völlig. Machen die da aber alle so. Weshalb wiederum auch in der ersten Liga die Gästeblöcke ziemlich leer sind. Zum entscheidenden Spiel um den Klassenerhalt fuhren 200 Deventer-Fans nach Tilburg, gut 70 Menschen aus Heerenveen zog es in die Amsterdam-Arena. Dort, erklärte man uns, werden Auswärtsfans bis zu zwei Stunden nach Abpfiff festgehalten, ehe sie nach Hause fahren dürfen. Das erklärt natürlich einiges.
Nun hatten wir schon für alle fünf Spiele Karten in den jeweiligen Heimbereichen gekauft - zwei Mal davon taten wir das sogar erst vor Ort. Dank des perfekt niederländisch sprechenden Kollegen nur ein mittelschweres Problem, das uns allerdings nicht davor bewahrte, schon beim Zweitligisten Volendam, dessen Stadion zu einem Drittel gefüllt war, die Personalausweise zu präsentieren. Nach minutenlangem Palaver war dann auch der Ordner überzeugt, dass der seltsame Gast aus Süddeutschland kein Undercover-Agent von De Graafschap war und im Heimbereich weder rauben noch brandschatzen wollte. Pommes essen wollte er allerdings schon, und zwar möglichst die mit Erdnusssauce, was hier weltmännisch »Saté« heißt. Die, immerhin, bekam man ohne Personalausweis. Bier gab’s auch. Alles gut also im niederländischen Fußball. Wo selbstverständlich auch ein Drittliga-Spiel auf der Agenda stand. Und siehe da: Hier standen Rentner mit rot-schwarzem und Rentner mit lila-gelbem Schal einträchtig nebeneinander, ohne sich zuvor irgendwo registriert haben zu müssen.
Was ich wiederum registriert habe, ist ein Gefühl, das mir in Deutschland in den letzten Jahren zusehends abhanden gekommen ist: Mir hat es richtig Spaß gemacht, die Spiele anzuschauen. Und das lag wohl schlicht und einfach daran, dass ich zehn Mannschaften gesehen habe, die den Ball haben wollten, die ein Tor schießen wollten, kurz: die Fußball spielen wollten. Der verfluchte Gegenpressing-Fußball, bei dem keiner mehr ein Spiel aufbaut - er wurde an der Grenze zu Deutschland abgewiesen. Gut so. Gelobt seien die Eagles aus Deventer, die auch nach dem 0:2 noch nach vorne spielten, gepriesen sei Heerenveen, das 1:5 in Amsterdam unterging, aber mindestens 70 Minuten lang ebenbürtig war. Und gepriesen seien alle zehn Trainer, die Fußballspieler aufstellen. Und keine Leichtathleten.
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