Mit Krawallen in den Vorstädten beginnt es
Jerome Leroy hat sich vorgestellt, wie eine rechtsextreme Partei in Frankreich an die Macht gelangen könnte
Angesichts des politischen Rechtsrucks in Europa und der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich, für die sich Marie Le Pen Hoffnungen macht, trifft der Kriminalroman »Der Block« von Jerome Leroy voll ins Schwarze. Auf spannende Weise wird hier die mögliche Regierungsbeteiligung einer rechtsextremen Partei thematisiert.
Die Ausgangsituation der Geschichte ist beängstigend: Krawalle in französischen Vororten eskalieren, es gibt Hunderte Tote, die Regierung bricht auseinander, und der »Bloc Patriotique« versucht, mit seiner Vorsitzenden Agnes Dorgelles in die Regierung zu kommen. Während nachts im Elysee-Palast die Verhandlungen laufen, sitzt Antoine, Ehemann von Agnes und Chefpropagandist der Partei, in seiner Wohnung und betrinkt sich. Sein bester Freund Stanko, Ex-Skinhead und Chef des gewalttätigen Parteiordnungsdienstes, wird währenddessen gejagt und versteckt sich in einem Pariser Hotelzimmer. Denn »Der Block« will die militant-neonazistische Altlast vor der Regierungsübernahme entsorgen. Im Lauf der Nacht lassen beide die Ereignisse der vergangenen Jahre Revue passieren, wodurch eine beunruhigende Innenansicht der nationalistischen und rassistischen Bewegung in Frankreich in Szene gesetzt wird.
Jerome Leroys Fiktion, die im Original bereits 2011 erschien, geht davon aus, dass es eine Regierungsbeteiligung der Rechten im Moment der größten innenpolitischen Krise und der sozialen Implosion der Gesellschaft gibt. Inzwischen, nach islamistischen Terroranschlägen, scheint die Fiktion von vor sechs Jahren von der Realität überholt zu sein. Wird Marie Le Pen gar Siegerin der Präsidentschaftswahlen werden? Jerome Leroys Roman ist eng an einer historischen Realität entlang geschrieben und bietet dem Leser auch ein Glossar, das verschiedene Organisationen und Parteien aus dem rechten Spektrum Frankreichs erklärt.
Anhand der beiden Protagonisten schlüsselt Leroy die Geschichte der fiktionalen Partei »Der Block« auf, die an die Partei »Front National« angelehnt ist, und liefert eine handlungsreiche, panoptikumartige Studie der nationalistischen und rassistischen Milieus in Frankreich und deren Entwicklung in den letzten dreißig Jahren. Das reicht von den verschiedenen rechten Parteien, den subkulturellen Skinheads und Fußballrowdys, für Mussolini schwärmenden Gymnasiasten und Identitären bis zu alten verbissenen Faschisten und Antikommunisten, die bereits für das Naziregime mordend durch Europa zogen.
Der intellektuelle Romanautor Antoine und der kahlköpfige, exzessiv gewalttätige Stanko bilden dabei zwei unterschiedliche, aber einander ergänzende Pole dieser rechten Bewegung. Wobei Leroy die Geschichte der französischen Rechten anhand verschiedener Familiengeschichten seiner Protagonisten vor allem auch als soziales Phänomen beschreibt, das viel mit der Enttäuschung klassisch linker Wählerschichten und der Arbeiterschaft durch die Sozialdemokraten und den neoliberalen Umbau im Lauf der 1980er und 1990er Jahre zu tun hat. Insofern erinnert Leroys Buch ein Stück weit an einige Argumentationslinien in Didier Eribons autobiographischem Roman »Rückkehr nach Reims«.
»Was die extreme Rechte angeht, so meine ich, dass die klassischen, antifaschistischen Denkmuster allein nicht mehr genügen, um ein Phänomen zu verstehen, das auf dem gesamten europäischen Kontinent ein solches Ausmaß angenommen hat.« So schreibt Leroy im Nachwort und betont, dass neben gründlichen Recherchen auch seine Erlebnisse antifaschistischer Kämpfe zur Entstehung des Buches beigetragen haben. Im Vorfeld der anstehenden Wahl in Frankreich ist »Der Block« eine absolut empfehlenswerte Lektüre.
Jerome Leroy: Der Block. Roman. Aus dem Französischen von Cornelia Wend. Edition Nautilus. 320 S., br., 19,90 €.
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