Kein Bleiberecht in allen Quartieren
Eberhard Eichenhofer zum »Menschenrecht auf Wohnen« als Instrument für mehr soziale Gerechtigkeit
Was würde sich in Deutschland ändern, würden wir die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte im Grundgesetz verankern?
Durch solche internationalen Instrumente könnten wir in Deutschland mehr Aufmerksamkeit schaffen für die großen sozialpolitischen Fragen, die weltweit diskutiert werden. Und das scheint mir das Allerwichtigste zu sein. Die deutsche Sozialpolitik ist bis zum heutigen Tage sehr stark auf das Lokale und das Konkrete in den Institutionen der deutschen Sozialpolitik konzentriert und hat relativ wenig Sinn für die großen sozialpolitischen Fragen. Die Frage sozialer Gerechtigkeit oder der Wohlstandsverteilung in der Welt kommen in unseren lokalen Debatten viel zu kurz.
Ist die Forderung nach der Verankerung des Rechtes auf Wohnen im Grundgesetz heute in Deutschland wichtiger als vor beispielsweise 30 Jahren?
Ja, es scheint heute natürlich stärker gefährdet und im Hinblick darauf gewiss auch im stärkeren Maße wichtig zu sein. Man hat ja vor fast 30 Jahren, zum Ende der deutschen Teilung sowohl im Osten als auch im Westen gemeint, dass die Wohnungsfrage gelöst sei. In der DDR wegen des Wohnungsbauprogramms, das seit den frühen 70er Jahren entwickelt worden ist. In Westdeutschland ist das Wohnungsthema durch Konzentrations- und Urbanisierungsbewegungen in den Ballungsgebieten wieder zentral geworden.
Die Umsetzung der Menschenrechte - einschließlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Grundrechte ist ein völkerrechtliches Jahrhundertprojekt der UNO - abgeschlossen ist es noch lange nicht!
Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde 1948 erstmals von der Generalversammlung der UN verkündet. Das Dokument kann in drei Kategorien eingeteilt werden - in Freiheitsrechte, in wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (WSK-Rechte) und in Kollektivrechte.
Das Recht auf Wohnen ist im Artikel 25 enthalten, der die sogenannten Wohlfahrtsrechte beschreibt. »Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung...»
Doch die Artikel der Deklaration sind weder verbindlich im Sinne des Völkerrechts noch einklagbar. Für die Einklagbarkeit der Menschenrechte legte die UN 1966 mit dem »Zivilpakt« und dem »Sozialpakt« wichtige Meilensteine. Als bindende internationale Abkommen können sie heute von den einzelnen UN-Mitgliedsstaaten unterschrieben und ratifiziert werden. Ein Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt, gültig seit 2013, sieht nun auch die individuelle Einklagbarkeit der WSK-Rechte vor. In den 22 Ländern, die das Zusatzprotokoll ratifiziert haben, darunter Frankreich, Spanien und Italien, können Einzelpersonen WSK-Rechte auf dem Rechtsweg einfordern, auch das »Recht auf Wohnen.« Wer auf dem nationalen Rechtsweg scheitert, kann eine Beschwerde beim Committee of Human Rights, dem zuständigen Gremium der UNO vorbringen.
Doch die gesetzliche Verankerung der WSK-Rechte in nationales Recht geht weltweit schleppend voran. Deutschland hat den Sozialpakt zwar unterschrieben, jedoch noch nicht in gültiges nationales Recht umgesetzt.
Hiesige Verbände, die Partei die LINKE und einige Politiker der grünen Partei fordern in regelmäßigen Abständen die Verankerung der WSK-Rechte im deutschen Grundgesetz. Die Bundesregierung prüft das Anliegen noch - seit Jahren.
Auf einer Fachtagung der Eberhard-Schultz-Stiftung wird am heutigen Freitag im ver.di Bildungs- und Begegnungszentrum Clara Sahlberg zu den Möglichkeiten der Umsetzung des »Menschenrechts auf Wohnen« gearbeitet. Thematische Schwerpunkte werden die kommunale Wohnungspolitik und die Wohnungslosigkeit von Geflüchteten sein. Unser Interviewpartner Eberhard Eichenhofer ist als Referent vor Ort. ker
Wie kann das Recht auf Wohnen praktisch gegen Obdachlosigkeit eingesetzt werden?
Das Recht auf Wohnen zielt ja auf die dauerhafte Unterbringung in einer Behausung. Dies ist nicht im Sinne der meisten Obdachlosen in Deutschland. In der Geschichte wurden unter dem Stichwort der »Bekämpfung von Asozialität« sogar Zwangsunterbringungen durchgeführt, welche der Würde von Obdachlosen widersprechen. Der Anspruch auf eine Unterbringung und die konsequente Weiterführung von Public-Health-Programmen könnten die Situation der Obdachlosen in Deutschland eher verbessern, als das »Recht auf Wohnen«.
Kann man Menschenrecht auf Wohnen auch gegen Verdrängung aus bestimmten Wohngegenden ins Feld führen?
Würde das Recht auf Wohnen im Grundgesetz stehen, könnte man darauf pochen, dass die Wohnung als Existenzgrundlage auch bei einer Sanierungsmaßnahme gesichert wird. Das Recht könnte zum Beispiel Entschädigungsansprüche tragen, es würde beispielsweise auch Beteiligungsansprüche bei der Umwandlung von Quartieren tragen. Zwangsvollstreckungen gegenüber Mietschuldnern würden erschwert. Man könnte die Leute nicht mir nichts dir nichts aus der Wohnung räumen lassen. Also hier beim Kampf gegen die Gentrifizierung äußern sich durchaus solche Garantien im Recht.
Also »Bleiberecht für alle« in den begehrten Stadtvierteln?
Man kann sich natürlich keine bestimmte Wohnung auswählen, so weit geht das Recht nicht. Das Recht auf Arbeit ist auch nicht auf einen bestimmten Arbeitsplatz gerichtet, ebenso wenig, wie das Recht auf Bildung auf einen bestimmten Bildungsgrad, das Recht auf Gesundheit nicht auf eine bestimmte Behandlung gerichtet ist. Sondern diese sozialen Rechte sind zunächst einmal Teilhaberechte. Sie sind darauf gerichtet, dass Wohnraumversorgung zu annehmbaren Bedingungen ermöglicht und von der öffentlichen Hand kontrolliert wird. Also Arbeit, Bildung, Gesundheit und Wohnen sind Themen der Politik und nicht des Marktes. Das ist schon mal eine sehr wichtige Erkenntnis!
Könnten sich Parteien auf das Menschenrecht auf Wohnen berufen, wenn sie kommunalen Wohnungsbau fordern?
Zweifellos würde es solche Bemühungen tragen. Es gibt jetzt schon Landesverfassungen, in denen das Thema Wohnen behandelt wird. Sie stehen in der Tradition der Weimarer Reichsverfassung. Die bayerische Verfassung gibt sogar explizit vor, dass das Land billige Wohnungen schaffen muss.
... was auch in Bayern seit mehr als 20 Jahren vernachlässigt wurde. Was nützt also verbrieftes Recht, wenn sich keiner um dessen Einhaltung kümmert?
Natürlich kann die Politik nur in dem Maße durchsetzen, wie sie dabei unterstützt wird von der Zivilgesellschaft. Diese muss die Mietentwicklung beobachten, Fehlentwicklungen anprangern und darauf hinwirken, dass bestimmte Themen per Gesetz geregelt werden.
Als Dreh- und Angelpunkt für ein Wirksamwerden der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte wird von vielen die Ratifikation des Zusatzprotokolls vom UN-Sozialpakt gesehen. Warum?
22 Staaten, darunter auch europäische Länder wie Finnland, Italien, Portugal und Spanien haben das Zusatzprotokoll ratifiziert. Seit 2013 hat dort jede einzelne Person, die in diesen Staaten lebt, das Recht, den nationalen Klageweg zu beschreiten und sich danach an entsprechende UNO-Gremien zu wenden.
Einzelne, gerade sozial Schwache, können es wohl kaum schaffen, ihre Rechte auf dem Klageweg durch alle Instanzen bis zur UN einzufordern …
Das ist richtig. Man muss sich klar machen, dass die Verwirklichung der sozialen Rechte im Grunde eine demokratische Gesellschaft und ein funktionierendes politisches Umfeld voraussetzen.
Stünden die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (WSK-Rechte) im Grundgesetz, wäre es dann möglich, zum Beispiel gegen Militärausgaben zu klagen zugunsten von höheren Sozialausgaben?
Der Einzelne kann jetzt nicht auf dem Wege der Klage eine andere Verteilung der öffentlichen Ausgaben erreichen. Das würde ja auch die Rechte der Parlamente beeinträchtigen, die dann nicht mehr Verteilungsentscheidungen treffen könnten.
In welchem Verhältnis stehen denn die freiheitlichen Menschenrechte zu den WSK-Rechten?
Menschenrechtstheoretiker wissen um die wechselseitige Bedingtheit. Dass heißt, die freiheitlichen, bürgerlichen, politischen Freiheitsrechte und die wirtschaftlich, sozialen und kulturellen Freiheitsrechte gehören zusammen, die einen sind die notwendige Voraussetzung für das andere.
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