Labour kämpft gegen die Eliten
Corbyn hofft im begonnen Wahlkampf auf den Enthusiasmus, der ihn ins Amt brachte
Falls Jeremy Corbyn sich um die miserablen Umfragewerte der Labour-Partei sorgen sollte, so ließ er sich davon zumindest nichts anmerken - im Gegenteil: Als der Parteichef am Donnerstag mit einer kurzen aber gepfefferten Rede den Startschuss für die Wahlkampagne abfeuerte, schien er sich auf den Abstimmungskampf zu freuen. Er umriss eine klare Strategie: Labour wird sich in den nächsten Wochen als Außenseiterin präsentieren, die gegen das elitäre Establishment kämpft, verkörpert durch Theresa May und die Konservative Partei.
Corbyn versprach, sich der »vergoldeten Elite« entgegenzustellen, den »Kartellen« und Steuerhinterziehern, die im Land die Fäden in der Hand hielten. Die Abstimmung am 8. Juni sei ein Wettkampf zwischen »dem Establishment und dem Volk«, sagte Corbyn.
Auf diese Weise, so hofft er, wird er die britischen Wähler auf seine Seite ziehen und eine historische Niederlage Labours abwenden. Leicht wird das nicht werden: Derzeit liegt seine Partei laut Umfragen rund 20 Prozent hinter den Konservativen zurück - so wenig Zustimmung hatte eine Oppositionspartei zuletzt in den 1980er Jahren. Viele Meinungsforscher, Kommentatoren und Politikexperten gehen davon aus, dass Labour zahlreiche Mandate verlieren wird: Im schlimmsten Fall könnte der Anteil an Sitzen im Unterhaus von derzeit 232 auf weniger als 150 fallen.
Die schwache Position Labours hat verschiedene Ursachen. Erstens herrscht innerhalb der Partei seit der Wahl des linken Vorsitzenden im September 2015 tiefer Dissens: Die große Mehrheit der überwiegend dem rechten Parteiflügel zuzurechnenden Fraktion hat Corbyn nie akzeptiert und sogar wiederholt versucht, ihn zur Abdankung zu zwingen, zuletzt mit einem Putschversuch kurz nach dem Brexit-Votum. Während dieser langwierigen inneren Querelen vermochte die Partei keine wirkliche Opposition zu machen oder ihr Profil zu schärfen.
Zweitens hat das EU-Referendum für Labour Probleme geschaffen, weil viele ihrer Abgeordnete Wahlkreise mit hohem »Leave«-Anteil vertreten, während die Mehrheit der Labour-Wähler einen Verbleib in der EU befürwortet. Das macht es schwierig, in der Brexit-Debatte eine klare Linie zu fahren. Und drittens sind die überwiegend konservativen Medien in Großbritannien gegenüber Corbyns Labour-Partei feindselig eingestellt, was es für sein Führungsteam nicht einfach macht, sich Gehör zu verschaffen.
In dieser Situation kalkuliert Corbyn, dass eine forsche Wahlkampagne, die sich seine Rolle als Nonkonformist zunutze macht, die einzige Chance auf Erfolg ist. »Ich spiele nicht nach ihren Regeln«, meinte er stolz. Im Gegensatz zu den Tories, die die Interessen des Finanzsektors und der großen Konzerne verträten, versprach Corbyn, sich für eine Verbesserung der Allgemeinheit einzusetzen: Er kündigte Investitionen in öffentliche Dienste wie den Gesundheitsdienst NHS an, einen Kampf gegen Steuerhinterziehung und einen Mindestlohn von zehn Pfund (zwölf Euro).
Als er im Anschluss an seine Rede gefragt wurde, ob er sich denn nicht um die niedrigen Umfragewerte sorge, meinte er verschmitzt, dass ihm die Wettbüros vor knapp zwei Jahren, als er als Kandidat für die Parteiführung antrat, Chancen von 200 zu eins ausrechneten. In den folgenden Wochen verhalfen ihm eine starke Basisbewegung und Zehntausende neuer Parteimitglieder zu einem Erdrutschsieg. In dieser Parlamentswahl ist es jedoch ungleich schwieriger, eine solche Bewegung aufzubauen - aber Corbyn setzt darauf, dass er auf diese Weise zumindest ein Wahldebakel abwenden kann.
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