Eribon wählt am Sonntag Mélenchon

Progressive Intellektuelle in Frankreich unterstützen kurz vor der Wahl den linken Präsidentschaftskandidaten

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 4 Min.

Die französische Linke sammelt sich unmittelbar vor den Präsidentschaftswahlen noch einmal verstärkt hinter dem Kandidaten Jean-Luc Mélenchon. Nach der Veröffentlichung eines Aufrufs zur Unterstützung Mélenchons von 130 Wissenschaftler*innen aus 17 Ländern, den unter anderem Paul Mason, Alex Demirovic, Klaus Dörre und Costas Lapavistas unterschrieben haben, meldeten sich auch der französische Soziologe Geoffroy de Lagasnerie und der Schriftsteller Edouard Louis zu Wort und riefen dazu auf, den linken Kandidaten am Sonntag zu wählen. Es mache nicht viel Sinn, für den Sozialdemokraten Benoît Hamon zu stimmen, schreiben sie mit Blick auf die Umfragewerte, die Mélenchon zuletzt knapp hinter Marine Le Pen und Emmanuel Macron sahen, den Sozialdemokraten aber weit hinten: »Es ist traurig, aber leider wäre das eine verlorene Stimme für die Linke.« Das gleiche gelte für den linksradikalen Kandidaten Philippe Poutou.

Am Samstag kündigte nun auch der französische Soziologie Didier Eribon auf seinem Blog an, Mélenchon zu wählen – mit einer langen Begründung. Eribon ist eigentlich für seine Kritik an der nationalistischen Ausrichtung Mélenchons bekannt. Mehrmals merkte er kritisch an, dass der Politiker »das gleiche Vokabular« benutze wie die Rechtsextremen – damit sind Worte wie Vaterland, Nation, Volk gemeint.

»Morgen werde ich für Mélenchon abstimmen«, beginnt sein Beitrag. »Nicht, weil ich mich total in dem wiedererkenne, was er sagt, oder in dem, was er darstellt. Aber er steht für eine Position und Dynamik, die es mir wichtig scheint, zu unterstützen.« Als einen Grund führt Eribon an, die Rechte, die extreme Rechte sowie den Konservatismus ausbremsen zu müssen. Vor allem aber sei eine Stimme für den Liberalen Emmanuel Macron mit einer späteren Stimme für die extrem Rechte Marine Le Pen gleichzusetzen: »Sollte sich Macrons Programm durchsetzen, bedeutet das 40 Prozent für die Front National in fünf Jahren.«

»Das Tränengas erwartet uns unter Macron«

Macron präsentiere die konservative Restauration als »modern«, verfolge aber nichts anderes als die sozialdemokratischen Fehler der vergangenen Jahre, »die Übernahme der neoliberalen Logik in die sozialdemokratischen Parteien, ihre aktive Teilnahme an der Zerstörung der sozialen Errungenschaften, der sozialen Sicherheit, der öffentlichen Dienste«, die große Risse in die populären Klassen gezogen und die Front National stark gemacht habe. Macron sei bereit, die Politik der Zerstörung dessen, was vom Sozialstaat übrig geblieben sei, weiter durchzusetzen – auch mittels Dekret, am Parlament vorbei: »Wir können uns also vorstellen, wie die behandelt werden, die sich auf die Straße trauen, um gegen die Durchsetzung der Maßnahmen unter diesen Bedingungen zu demonstrieren. Wir hatten einen Vorgeschmack unter Monsieur Valls. Das Tränengas wartet auf uns. Und die Schockgranaten.«

Macrons »Weder rechts – noch links« oder sein »Sowohl rechts, als auch links« sei nicht der Auftakt einer Versöhnung über alte Gräben hinweg, sondern sei der Versuch einer Verschleierung der Realität, die von Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung geprägt sei. »In Wirklichkeit ist das, was man uns vorschlägt, die Einsetzung einer technokratischen Regierung, in der ‘Experten’ entscheiden, im Namen einer ‘Rationalität’, die nur sie besitzen, während sie ihrer unanfechtbaren ‘Wissenschaft’ folgen (der Ökonomie in ihrer ultra-neoliberalen Version)«.

Das Europa von Ada Colau und Jean-Luc Mélenchon

Aus all diesen Gründen wähle Eribon Mélenchon. »Sicher, ich mag weder seine nationalistischen Höhenflüge, noch seine wiederholten Beschwörungen des ‘Vaterlandes’ und seiner ‘Größe’«, schreibt der Soziologe – aber man habe ihm zu Unrecht vorgeworfen, anti-europäisch zu sein. Die Frage sei doch nicht so sehr, ob man »für« oder »gegen« Europa sei, sondern eher zu wissen, um welches Europa es sich handele: das von der Kommission, das von Schäuble (der Macron natürlich unterstütze), das der Austeritätspolitik, die die griechische Bevölkerung ersticke? Dieses Europa abzulehnen, sei nicht anti-europäisch.

Dem entgegen stellt Eribon ein soziales Europa, an dem bereits gearbeitet werde, das Europa von Ada Colau und Manuela Carmena, von Monica Oltra und vielen sozialen Bewegungen: »Ich weiß, dass dieses Europa auch das von Pablo Iglesias ist, und, zum Beispiel, auch das von Jean-Luc Mélenchon.«

Eribon schreibt aber auch, dass er sich über den Ausgang der Wahlen am Sonntag nicht allzu viel Illusionen mache. Die Linke sei in einer Krise. »Unsere Aufgabe ist es, ein linkes Denken neu zu erfinden und neue linke politische Praktiken zu erstellen.« Zudem halte ihn auch die Wahl Mélenchons nicht davon ab, sein Recht und seine Pflicht zu behalten, Kritik zu üben: »Aber, mit so vielen anderen, habe ich mit meiner Stimme etwas auszudrücken, die Verweigerung, die Revolte und die Hoffnung.«

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