Deutsche Lesart
Gabriele Oertel bezweifelt, dass die Alphabetisierung von Geflüchteten gelingt
Der Vorschlag des Deutschen Städte- und Gemeindebundes zur neueinzuführenden Schulpflicht für nicht lese- und schreibkundige Flüchtlinge bis zum Alter von 25 Jahren ist vernünftig. Dass Sprach- und Schriftkenntnisse für Integration wesentliche Voraussetzung sind, wird kaum jemand bestreiten. Aber mal davon abgesehen, dass gewiss wieder irgendein Erbsenzähler vorrechnen wird, wie unbotmäßig die Forderungen ob der Kosten sind - Zweifel am Gelingen sind auch aus einem ganz anderen Grunde angebracht: Im Kampf gegen den Analphabetismus ist das Land der Dichter und Denker ein Versager.
Seit die sogenannte Level-One-Studie der Hamburger Universität 2011 zu dem peinlichen Befund kam, dass sich in der Bundesrepublik trotz jahrzehntelanger Schulpflicht 7,5 Millionen Erwachsene als sogenannte funktionale Analphabeten mehr schlecht als recht durchs Leben buchstabieren und bis zu 2,5 Millionen 18- bis 64 Jährige sogar Analphabeten im engeren Sinne sind, hat sich kaum etwas geändert. Erst im Vorjahr hat die Bundesregierung eine neuerliche Alphabetisierungsdekade bis 2026 ausgerufen. Und freilich wird sie auch in diesem Jahr zum Weltalphabetisierungstag am 8. September bedauern, dass die Zahl der Menschen ohne Lese- und Schreibkenntnisse nicht wirklich gesunken ist. Eine Schande für dieses reiche Land, ein Hohn für alle selbst ernannten Bildungsbürger - und keine gute Botschaft für Geflüchtete.
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