Party gegen Grenzpolitik
Am Rio Grande in Texas wollen sich viele Menschen nicht mit Verboten abfinden
US-Präsident Donald Trump hat Schwierigkeiten, das nötige Geld für die geplante 20-Milliarden-Euro-Mauer an der Grenze zu Mexiko von den Abgeordneten bewilligt zu bekommen. Am Rio Grande zeigen sich noch ganz andere Schwierigkeiten des umstrittenen Projekts. Jetzt, im Frühjahr, ist der Fluss nur ein kleiner Wasserlauf, den man an manchen Stellen barfüßig durchqueren kann. Doch der Rio Grande schlängelt sich dahin, hat in seinen wilden Tagen zerklüftete Canyons gebildet, dazwischen besteht der Untergrund oft aus Sand und Lehm. Kein gutes Fundament für eine meterhohe Mauer.
Und dann ist da noch die Kultur des Zusammenlebens entlang der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Zum Beispiel in dem Örtchen Lajitas. Dort feiern Bürger seit dem Anschlag auf die Türme des World Trade Centers in New York im Jahr 2001 jeweils am 6. Mai das Festival »Voices from both sides« (Stimmen von beiden Seiten). Denn seit diesem Ereignis ist verboten, was früher gang und gäbe war: Dass hier einfach die Grenze überschritten werden kann.
Der Big Bend Nationalpark im Südwesten von Texas kann sich rühmen, einer der entlegensten, unbekanntesten und einsamsten Naturparks der USA zu sein. Zwischen Del Rio und El Paso gelegen, zählt er mit über 3000 Quadratkilometern zu den größten Naturparks der Vereinigten Staaten. Geprägt wird der Park durch gewaltige Canyons, eindrucksvolle Tafelberge und erodierte Landschaft. Hier wächst nicht viel, sonderbar und wie von einem anderen Planeten muten einige Kakteenpflanzen an. Der Rio Grande bildet den Grenzfluss zu Mexiko. Dort setzt sich der Charakter der Landschaft fort, wobei die mexikanische Grenzregion noch weniger erschlossen ist als die amerikanische.
So ist nicht verwunderlich, dass es hier so eigentümliche Grenzübergänge wie den nach Boquillas del Carmen gibt. Die Straße durch den Naturpark schlängelt sich zwischen Tafelbergen und Schluchten dahin in Richtung Süden, bis sie schließlich in einem kleinen Parkplatz mündet. Das Gebäude dahinter ist die Grenzstation. Heute hat Frederic, ein Parkranger, Dienst. Ausgestattet mit Schusswaffe übernimmt er auch hoheitliche Aufgaben. Das Verlassen der USA ist hier nicht schwierig, wenn sich die Tür hinter einem schließt, ist es nur noch ein kurzer Fußweg bis zum Fluss. Und drüben am anderen Ufer, in Mexiko, wartet schon Chaime, um mit seinem Ruderboot überzusetzen. Man könnte auch einfach durch den Fluss waten, aber die Touristen wollen sich die Füße nicht nass machen. Und so verdient Chaime in vier Minuten Überfahrt fünf Dollar pro Passagier.
Sodann werden die Besucher mit dem Auto oder mit Eseln in das zwei Kilometer entfernte Boquillas gebracht. Dort wiederum sitzen in einem weißen Container zwei mexikanische Grenzbeamte und stempeln die Pässe der Ankommenden - kann man machen, muss man aber nicht. Ansonsten bieten einige Kneipen günstige Mittagessen an. Frauen verkaufen selbst gemachte Souvenirs. Ein paar Häuser, Hühner, eine staubige Straße, ein kleine, karg ausgestattete Kirche - das Dorf am Ende der Welt hat erst vor ein paar Jahren Elektrizität bekommen.
Den Ort gibt es freilich schon seit dem 19. Jahrhundert, als sich hier Bergleute aus den Silberminen der Sierra del Carmen und Farmer mit ihren Familien niederließen. In der Krisenzeit der 1930er Jahre setzte die damalige US-Regierung im Rahmen des sogenannten New Deal auf eine aktive Beschäftigungspolitik und manche Nationalparks wie Big Bend sind daraus entstanden. Damals wollte man einen internationalen, grenzübergreifenden Naturpark schaffen und der Übergang nach Boquillas ist ein Überbleibsel dieser Idee.
Der Rückweg über den Fluss ist ebenso einfach wie zuvor, Chaime legt sich wieder in die Ruder und überbrückt die gut 25 Meter Wasser. Oben, an der Grenzstation geht es dann allerdings etwas kontrollierter zu. Ankömmlinge müssen ihren Reisepass einscannen und über ein Telefon wird der Einreisende nach Reiseziel und anderen Details befragt. Und sollten Mexikaner hier ohne Visa auftauchen, dann wäre ihre Reise auch schon wieder zu Ende.
»Manchmal kommen an einem Tag nur vier Leute«, sagt Ranger Frederic, »manchmal bis zu vierhundert.« Und illegale Einwanderer? »Die gibt es hier weniger«, erzählt der Uniformierte, »dazu ist es hier zu abgelegen.« Und was hält er von einem Mauerbau durch diese Landschaft, der völlig dem internationalen Geist der Entstehungsidee widersprechen würde? Hier gibt sich Frederic sehr bedeckt, er als Angestellter des Staates habe Neutralität zu wahren, betont er.
Eigentlich ist hier der Rio Grande und damit die Grenze problemlos zu Fuß zu überwinden. Allerdings ist dies nur die erste Hürde. Denn die amerikanische Grenzpolizei hat ein weites Netz an Kontrollpunkten über die texanische Grenzregion gelegt. Das heißt konkret: An jeder Straße, die in Richtung Grenze führt, gibt es Kontrollstationen, dort werden Fahrer und andere Insassen überprüft und die Ausweise begutachtet. Es ist ein bisschen wie bei der bayerischen Schleierfahndung, bei der auch hinter der Grenze die Zufahrtswege überwacht und Kontrollen durchgeführt werden.
Zurück zum Rio Grande. Zwischen dem Naturpark-Übergang nach Boquillas und einem weiter westlich gelegenen regulären Grenzübergang in dem Städtchen Presidio liegt der kleine Ort Boquillas. Die Ortschaft besteht eigentlich nur aus einer Tankstelle, einem Laden und einer größeren Hotelanlage mit Golfplatz und Schießständen, man ist schließlich in Texas. Auch hier ist der Rio Grande nur knietief und auch hier war der Grenzübertritt möglich - eben bis zu dem besagten Terroranschlag im Jahr 2001.
Seitdem sind Familien getrennt, aber viele Bürgerinnen und Bürger wollen sich mit der Situation nicht abfinden, deshalb hat sich eine »Big Bend Bürger-Allianz« gegründet. Jeweils im Mai feiern hier die Anwohner in Texas und Mexiko mit einem Fest den illegalen Grenzübertritt und protestieren so gegen die restriktive Politik des US-Regierung.
Die Menschen versammeln sich am Ufer des Rio Grande, man planscht, spritzt sich in der Hitze gegenseitig mit Wasser an, umarmt sich, es wird Bier getrunken, Familien feiern ein Wiedersehen. Quer zum Flusslauf wird eine Menschenkette gebildet, die Leute singen und musizieren gemeinsam. Es ist eine friedliche und fröhliche Demonstration für offene Grenzen.
»Technisch gesehen ist das illegal«, wird ein Grenzbeamter in der Lokalzeitung zitiert, »aber wir dulden es.«
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