Rätsel um neue Hamas-Charta

Organisation stellte Dokument zu einem möglichen Palästinenserstaat vor / Von der Fatah dominierte Regierung in Ramallah zeigt sich ratlos über den Schritt des Konkurrenten

  • Oliver Eberhardt, Kairo
  • Lesedauer: 3 Min.

In Israel gedachten die Menschen am Montag der in Kriegen und bei Terroranschlägen Getöteten, als in der katarischen Hauptstadt Doha die Führung der Hamas vor der Presse Platz nahm, um ein Dokument vorzustellen, in dem die Organisation ihre Positionen für die kommenden Jahre festgehalten hat.

»Die Hamas betrachtet die Gründung eines vollständig unabhängigen und souveränen palästinensischen Staates in den Grenzen vom 4. Juni 1967 mit Jerusalem als Hauptstadt und die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat, aus der sie vertrieben wurden, als nationalen Konsens«, heißt es. Gleichzeitig wird aber auch festgelegt, dass »Palästina« für die Hamas auch weiterhin das gesamte Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer umfasse. Man werde den Kampf für die Befreiung Palästinas fortsetzen. Dieser Kampf richte sich aber nicht gegen das Judentum, sondern gegen das »zionistische Projekt«.

Vier Jahre lang hatte das in Doha ansässige Politbüro der Hamas an dem Dokument gearbeitet. Die Organisation sei nun bereit für »die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft«, sagte Khaled Maschal, Chef des Politbüros.

Doch sowohl in Palästina als auch in Israel war es zunächst einmal vor allem die Optik, die die Öffentlichkeit beeindruckte: Da saß die Führung einer Organisation, deren Strukturen und interne Abläufe weitgehend geheim sind, und gab eine Pressekonferenz. »Das ist etwas, was relativ bizarr anmutet«, sagt Rami Hamdallah, Regierungschef der von der Fatah dominierten palästinensischen Regierung in Ramallah. Stundenlang hatten er, Präsident Mahmud Abbas und Vertreter der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO zuvor darüber beraten, was das nun bedeutet. Ergebnis: »Wir wissen es nicht.«

Unterdessen ist Abbas nach Washington gereist, um sich dort mit Präsident Donald Trump treffen, der eine eigene Friedensinitiative starten will. Die Hamas hat sich dazu bislang noch nicht geäußert, stellte aber auch jetzt wieder klar, dass an ihr kein Weg vorbeiführt.

Seit 2007 regiert eine Schattenregierung der Hamas den Gaza-Streifen. Ständig verhandelt man mit der Fatah über eine Einheitsregierung, trifft auch immer wieder Vereinbarungen, an die sich niemand hält. Drei Kriege hat die Hamas mittlerweile gegen Israel geführt, mindestens 63 Terroranschläge in Israel verübt. Und stets hatten die öffentlichen Vertreter der Hamas die Organisation als legitime Führung der Palästinenser präsentiert.

Das nun vorgestellte Positionspapier, von dem unklar ist, ob es die ursprüngliche Charta der Hamas ersetzen oder ergänzen soll, oder ob es einfach nur ein Grundsatzpapier ist, solle die Haltung der Hamas »differenzieren«, sagt Fawzi Barhoum, Sprecher der Hamas-Regierung in Gaza. »Wir werden mit jedem zusammenarbeiten, der uns bei der Befreiung unseres Landes helfen kann«, betont er und verweist darauf, dass »direkte Verhandlungen mit Israel für uns ausgeschlossen sind«.

Sehr viel wichtiger scheinen ihm, aber auch den Funktionären in Doha, derzeit ohnehin die Alltagsprobleme zu sein: Denn die Situation im Gaza-Streifen spitzt sich zu. Weil die Regierung in Ramallah nun Steuern auf Treibstofflieferungen für das Elektrizitätswerk in Gaza erhebt, müsste dort die Stromerzeugung eingestellt werden. Gleichzeitig kommt der Wiederaufbau seit dem Ende des Krieges im Sommer 2014 nicht voran. Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch. Im Januar gab es deshalb erstmals Massendemonstrationen gegen die Hamas-Regierung.

Die Hamas-Bewegung hofft deshalb wohl darauf, neue ausländische Geldgeber in der muslimischen Welt zu finden. Zudem versucht man eine zunehmende Annäherung an Ägypten: Seit der Machtübernahme durch Präsident Abdelfattah al-Sisi ist die Grenze nur tageweise geöffnet, zudem ist auch der Interbankenverkehr streng reglementiert. Denn Ägypten sieht die Hamas als Teil der Muslimbruderschaft, aus der sie einst hervor ging, und die in Ägypten als Terrororganisation gilt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -