MOSE wird zum Milliardengrab
Bauprojekt sollte eigentlich Venedig vor Hochwasser schützen
»Acqua alta« ist ein Schreckenswort für Venedig. Hochwasser überschwemmt tiefer gelegene Straßen und Plätze wie San Marco und lässt die ohnehin schon angenagten Paläste der Lagunenstadt ins Wasser sinken. Seit 1984 gibt es Pläne, eine Sturmflutbarriere zu errichten. Im Jahr 2003 setzte der damalige italienische Regierungschef Silvio Berlusconi den ersten Spatenstich.
Doch das Bauwerk, so spotten nicht nur die Venezianer, wird wohl ein Jahrhundertprojekt werden. Ob es je realisiert wird, ist nicht abzusehen, mehrfach wurde die Inbetriebnahme bereits verschoben. Jüngst von 2017 auf nunmehr 2021. Bislang hat das Projekt MOSE (mobile experimentelle elektromechanische Sperre) mehr als acht Milliarden Euro verschlungen. Weitere Milliardenkosten sind zu erwarten. Luigi Magistro, der von der Regierung eingesetzte kommissarische Chef des Konsortiums Venezia Nuova (CNV), das Bauherr des Projekts ist, trat vor kurzem resigniert vom Amt zurück.
Experten konstatieren, dass das Stauprojekt in der Lagune von Venedig technisch nicht ausgereift ist. Obwohl die Erfindung keineswegs neu ist - Präzedenzprojekte gibt es in London und Rotterdam - scheint die Realisierung vor unüberwindlichen Hürden zu stehen. Die Staustufen sollen von einer Festlandsseite zur anderen und zwischen den Laguneninseln gezogen werden. Doch bevor die letzten Elemente überhaupt erbaut sind, rosten die ersten schon weg und müssen erneuert werden. Im Falle von Hochwasser sollen sich mächtige Metallbehälter aufrichten und dafür sorgen, dass der Wasserspiegel innerhalb von Lagune und Kanälen niedriger als der Meeresspiegel bleibt.
Die Venezianer hingegen sind überzeugt, dass das Wasser dennoch im Falle von »Acqua alta« in die Stadt drängen wird. Dazu habe auch der extensive Ausbau des Kreuzfahrtschiffhafens sowie die Ausbaggerung der Fahrrinnen in der Lagune geführt, so betrübte Bürgerinitiativen. »Das Wasser kommt mit Sicherheit«, konstatiert Signora Rossi. Die 80-Jährige lebt nahe des Canal Grande und hat schon viele Hochwasser kommen und gehen sehen.
Doch nicht nur die technischen Pannen, so unken die Bürger der Lagunenstadt, sind für die Verzögerungen zuständig. Für viele leitende Beteiligte hat sich das Projekt MOSE zur lukrativen Geldquelle gemausert. Dieser Auffassung ist jedenfalls die Staatsanwaltschaft, die seit 2014 wegen vielfacher Korruption ermittelt.
Dabei sind es nicht nur Politiker der Berlusconi nahestehenden Mitte-Rechts-Koalitionen, die die Hand aufgehalten haben sollen. Venedigs Ex-Bürgermeister Giorgio Orsoni (Demokratische Partei/PD) soll persönlich 200 000 bis 250 000 Euro jährlich für seine Zustimmung zum Projekt erhalten haben, zusätzlich sei ihm eine Wahlkampfspende von 450 000 Euro zugeflossen.
Transportminister Altero Matteoli (Il Popolo della Liberta/PdL) genoss finanzielle Vorteile dafür, dass er dem Stauprojekt seitens der Regierung Vorrang vor anderen Infrastrukturaufgaben gab. Die Reihe der prominenten Beteiligten reicht weiter vom Berlusconi-Berater Gianni Letta (PdL) bis hin zum Ex-Regierungschef und Neffen Enrico Letta (PD). Finanzpolizei und Staatsanwaltschaften ermitteln - wegen Korruption gingen dem Projekt Millionen auf Kosten der Steuerzahler verloren. Das Konsortium Venezia Nuova, zu deren Hauptbeteiligten Berlusconis Fininvest gehört, verlangt indes vom Staat weitere 361 Millionen Euro für die Fortführung des Stauprojekts. Jedenfalls wird zumindest in den kommenden vier Jahren das Hochwasser weiter ungehindert nach Venedig kommen. Und seine Bürger werden, wie sie es seit Jahrzehnten gewohnt sind, zu Zeiten des »Acqua alta« über provisorische Holzstege gehen müssen.
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