Hamburg war nicht vorbereitet
Der Große Brand: Eine Katastrophe trifft die Hansestadt im Jahre 1842 und verändert ihr Gesicht
Wochenlange Trockenheit, Speicherhäuser dicht an dicht, Kerzen als Beleuchtung - der Ausbruch des »Großen Brandes« von 1842 kommt für Hamburg nicht ganz überraschend. Das Feuer entsteht in der Nacht zum 5. Mai im Haus eines Tabakhändlers an der Deichstraße 44. Die genaue Ursache ist bis heute unbekannt. In den benachbarten Speichern lagern hochbrennbarer Schnaps, Lack und Gummi. Um ein Uhr wird der Brand bemerkt, die Nachtwächter schlagen Alarm, Signalschüsse und Sturmglocken rufen die Feuerwehr herbei. Doch die Flammen breiten sich aus und vernichten nach Angaben des Historikers Ortwin Pelc bis Sonntag, 8. Mai 1842, 1750 Häuser und 100 Speicher. 51 Menschen kommen ums Leben, 130 werden verletzt, 20 000 verlieren ihre Wohnung.
Die Gefahr wird anfangs unterschätzt. In der Nikolaikirche findet am 5. Mai, dem Himmelfahrtstag, zur Mittagszeit noch ein Gottesdienst statt, während die Flammen schon den Turm erfassen. Der Kampf der Feuerwehrleute bleibt vergeblich, wenige Stunden später stürzt der Turm ein. Nun erst erlaubt der Senat das Sprengen einzelner Häuser, um das Ausbreiten der Flammen zu verhindern, aber die Maßnahme kommt zu spät. Am Abend tagen Bürgermeister Christian Daniel Benecke und die Ratsherren noch im Rathaus, am frühen Morgen des 6. Mai lassen sie auch ihr Amtsgebäude in die Luft jagen. Es wird 55 Jahre dauern, bis Hamburg ein neues Rathaus einweihen kann, das heute zu den Wahrzeichen der Stadt gehört.
Nichts scheint die Flammen aufhalten zu können. Die 1150 »Wittkittel«, wie die Hamburger Feuerwehrleute wegen ihrer weißen Leinenkleidung hießen, bekommen Verstärkung aus dem Umland und sogar aus Lübeck und Kiel. Über einen optischen Telegrafen am Hafen wird der Hilferuf weitergegeben. Hamburg zählt zu jener Zeit 120 000 Einwohner. Sie leben in Fachwerkhäusern dicht gedrängt, denn die Wallanlagen begrenzen die Stadt, nachts werden noch die Tore geschlossen.
Jeder versucht sein Hab und Gut zu retten, mancher wirft es in die Fleete, um es später wieder zu bergen. Im Museum für Hamburgische Geschichte sind von der Hitze verformte Kelche und andere beschädigte Haushaltsgegenstände zu sehen. Unmittelbar nach Brandausbruch seien Plünderer unterwegs gewesen, sagt Pelc, der im Museum die Abteilung für das 19. Jahrhundert leitet. Einige von ihnen sterben, nachdem sie sich in einer Weinhandlung betrunken haben und das Gebäude über ihnen zusammenstürzt.
Gerüchte machen die Runde, englische Handwerker hätten mit ihren modernen Dampfmaschinen den Brand verursacht. Lynchjustiz droht. Zugleich müssen die im Spinnhaus inhaftierten Schwerverbrecher auf Schiffe evakuiert werden. Um die Ordnung aufrecht zu erhalten, gründet der Rat am 7. Mai eine Bürgerpolizei. Soldaten aus Stade, Bremen, Lübeck und Magdeburg kommen zur Hilfe. Wie bei den heutigen Katastrophen ist das Medieninteresse groß. Die Kunde vom Brand sei zunächst per Postkutsche verbreitet worden, sagt Pelc. Dann seien viele Künstler in die Stadt gekommen, um Bilder vom Wüten der Flammen zu malen und in großer Zahl zu drucken. Auch erste frühe Fotos, sogenannte Daguerreotypien, wurden gemacht. Es gibt Berichte und Romane.
Die Flammen können unter großer Anstrengung am 8. Mai an den Wallanlagen aufgehalten werden, bevor sie auf die Vorstadt St. Georg übergreifen. An diesem Sonntag verkündet der Senat nach einer Ratsversammlung: »Mit des Allmächtigen Hülfe und der anstrengenden Thätigkeit und der eisernen Ausdauer unser Bürger und Angehörigen und unserer wohlwollenden Freunde und Nachbaren ist der ungeheuren Feuersbrunst (...) Einhalt gethan.«
Der Wiederaufbau kommt schnell voran, auch dank großzügiger Spenden aus ganz Deutschland und dem Ausland. Ende Juli 1842 sind nur noch 670 Menschen obdachlos, für die weitere 300 Notwohnungen errichtet werden. Hamburg erlebt einen Bauboom. Der englische Ingenieur William Lindley entwirft eine zentrale Wasserversorgung für Hamburg, die auch das Löschen von Bränden erleichtert. 1872 gründet die Stadt eine Berufsfeuerwehr.
Der Große Brand sei auch für die damalige Zeit ungewöhnlich gewesen. »Das ist einmalig«, sagt Pelc. Der vergleichbare Brand von London habe sich bereits 1666 ereignet. Die Feuerwehr und der Brandschutz seien im 19. Jahrhundert eigentlich schon sehr viel besser gewesen. Hamburg hinkte hinterher, hatte etwa noch keine Brandschutzmauern zwischen den Häusern wie Lübeck. Das führte nach dem Brand zu massiver Kritik am Senat.
Heute ist die Hamburger Feuerwehr nicht nur technisch und organisatorisch ungleich besser aufgestellt. Beim Bau eines jeden Gebäudes redet sie ein entscheidendes Wörtchen mit, wie der Feuerwehrhistoriker Dietmar Jeschke erklärt. dpa/nd
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