26 Sekunden fehlen an einer Fabelzeit
Eliud Kipchoge aus Kenia scheitert bei der Marathon-Hetzjagd in Monza mit 2:00:25 Stunden knapp an der historischen 2-Stunden-Marke
Der beste Langstreckenläufer der Welt ist beim ebenso spektakulären wie umstrittenen Vorhaben, als Erster einen Marathon unter zwei Stunden zu laufen, knapp gescheitert. Im Morgengrauen von Monza lag Kipchoge nach 42,195 km bei 2:00:25 Stunden.
»Ich war total auf diese zwei Stunden fixiert. Auf den letzten Kilometern bin ich ein wenig abgefallen«, sagte der 32-Jährige, wollte aber dennoch festgehalten wissen: »Das hier ist historisch. Es war eine gute Reise, es waren sieben Monate voller Hingabe.«
Immerhin: Der Kenianer lag deutlich unter dem gültigen Weltrekord seines Landsmannes Dennis Kimetto (2:02:57), als er am Samstagmorgen um genau 7:45:25 Uhr die Ziellinie überquerte. Doch als neue Bestmarke geht Kipchoges Lauf aufgrund der Umstände nicht in in die Rekordlisten ein - wegen ständig wechselnder Pacemaker.
Für den Sportartikelgiganten Nike, der das Projekt »Breaking2« als riesiges PR-Vehikel benutzt und geschätzte 30 Millionen Euro investiert hatte, war es durchaus eine Schlappe: Die Macher aus Beaverton (US-Bundesstaat Oregon) hatten nie einen Zweifel daran gelassen, dass es nur um diese magische 2-Stunden-Marke ging.
Mit riesigem Getöse hatten sie im Vorfeld für ihr Projekt getrommelt, einige Stunden nach Rennende teilte Konzernboss Mark Parker mit reichlich Pathos mit: »Ich habe die Magie von Goldschuhen und schnellen Anzügen gesehen. Aber ich habe noch nie etwas Vergleichbares wie heute gesehen. Es ist ein Moment der globalen Inspiration, die jeden Athleten in jeder Gemeinschaft ermutigt, die Grenzen seines Potenzials zu durchbrechen.« Es folgte der Verweis auf die Kaufversion des für Kipchoge entwickelten Schuhs.
Die prominenten Augenzeugen an der abgeschirmten Formel-1-Strecke in Monza, auf der Kipchoge und Co. im Windschatten eines Führungsfahrzeugs mit wechselnden Pacemakern eine 2,4 km lange Runde 17,5 mal absolvierten, gaben sich beeindruckt. »Wahrhaft inspirierend«, nannte die britische Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe den Lauf Kipchoges. Der deutsche Rekordhalter Arne Gabius meinte: »Das war unglaublich, der Wahnsinn.«
Kipchoge zeigte, was derzeit möglich ist. Trotz des verpassten großen Ziels bewegte er sich in schwindelerregenden Dimensionen: Knapp 2:51 Minuten benötigte er für einen Kilometer - mehr als 42-mal in Folge. Die 100 Meter rannte er in 17,5 Sekunden - 422-mal nacheinander.
Allerdings geschah all das unter »Laborbedingungen«. Ein Wort, das angesichts der langen Dopinghistorie der Leichtathletik und der gegenwärtigen Debatte über die mögliche Tilgung zweifelhafter Weltrekorde durchaus Schmerzen verursacht. Seit Herbst wurden Kipchoge sowie seine beiden Mitstreiter Lelisa Desisa und Zersenay Tadese von einem ganzen Heer an Wissenschaftlern betreut, die nichts dem Zufall überließen.
Unter anderem schluckten die Laufstars Thermometer in Tablettengröße, um die ideale Körpertemperatur zu ermitteln, jegliche Störfaktoren im Rennen wurden mit allen Mitteln ausgeschaltet. Ist das noch Sport? Oder Zirkus? Zumindest zeigt es, was passiert, wenn PR-Strategen die Regie übernehmen.
Als Fazit bleibt: In einem derartigen »Wettkampf« ist die 2-Stunden-Barriere durchaus zu knacken. Denn letztlich waren es Kleinigkeiten, die Kipchoges Lauf in die Ewigkeit verhinderten. Der frühere Sieger des Bostonmarathons Desisa und Halbmarathon-Weltrekordler Tadese fielen leistungsmäßig ab und zu früh zurück, was psychologisch nicht gut für Kipchoge war.
So legte Kipchoge die letzten fünf Kilometer nur noch in 14:26 Minuten zurück - auf den zweiten fünf Kilometern waren es noch 14:06 Minuten gewesen. Letztlich war es kleinste menschliche Schwäche, die den Ausschlag gab, die nicht plan- und verhinderbar war. Irgendwie dann doch ein wenig beruhigend.
Es deutet sich an, dass Monza nur der Anfang der PR-Hetzjagd war: Nikes großer Konkurrent adidas plant Ähnliches. Auch hier soll die 2-Stunden-Barriere das große Ziel sein. Ein Termin steht noch nicht fest. SID/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.