Steinschlag im Glashaus?
Christoph Ruf über Torsten Frings als Trainer des Jahres, das Wort »Fankultur« und den Umgangston in Hoffenheim
Der 32. Spieltag ist vorbei, in Sachen erster Liga sind zwei Dinge aufgefallen. Erstens: Darmstadt 98, dieser außergewöhnliche Erstligist, hat nun auch rechnerisch keine Chance mehr, die Klasse zu erhalten. Die Lilien haben 0:1 in München verloren. Doch in Sachen Fankultur haben die Fans der 98 erneut brilliert. Sie haben ihre Mannschaft nach allen Regeln der Kunst gefeiert, genau wie sie beim Heimspiel zuvor, das zufällig mit einem 3:0-Sieg gegen Freiburg endete, die Mannschaft nach vorne gebrüllt haben. Enthusiastisch, laut und immer ein wenig selbstironisch. Trainer Frings gebührt - und das meine ich vollkommen ernst - in dieser Saison der Titel »Trainer des Jahres«, weil er es geschafft hat, eine Mannschaft immer wieder neu zu motivieren, die doch in jedem Spiel genau wusste, dass es wohl wieder nicht reichen würde. Bis es irgendwann mal doch reichte und die Spieltage 29-31 mit drei Siegen bestritten wurden. Noch etwas fiel auf: BVB-Geschäftsführer Aki Watzke weitet die Kampfzone aus und schießt seinen Trainer Thomas Tuchel nicht mehr nur noch über die seit Jahren bekannten Medien der inoffiziellen Watzke-Mediengruppe an, sondern nun auch über die der offiziellen Funke-Mediengruppe.
Was er damit bezweckt, drei Spieltage vor Schluss noch mal den Druck auf den Trainer zu erhöhen, muss man nicht verstehen. Sollte es dennoch Gründe geben, stellt sich die Frage, warum er ihn nicht einfach entlässt, ohne vorher über die Bande mit den Medien zu spielen. Doch diese Debatten sollen andere weiterführen, die können das besser, ich war am Wochenende sowieso Erstliga-abstinent und habe mir stattdessen zwei Spiele angeschaut, die richtig Spaß gemacht haben. Dynamo Dresden gegen 1860 in einem Stadion, das selbst dann zur Dezibel-Hölle wird, wenn es angeblich ein relativ stimmungsarmes Spiel gewesen sein soll. Und BSG Chemie Leipzig gegen BSC Brandenburg Süd. Tolles Stadion, 2000 Fans, die sich erst ein wenig in Stimmung bringen mussten, ehe sie dem Reporter ab der 60. Minute ein Déjà-vu bescherten. Ja, es ist möglich, dass wirklich das ganze Stadion schreit, es ist möglich, dass in der Schlussphase keiner mehr auf den Sitzplätzen sitzt und in einem fast komplett unüberdachten Stadion ein enormer Lärmpegel herrscht. Und noch etwas ist mir aufgefallen: Kaum einer ist früher gegangen, nicht mal eine Minute vor Abpfiff. Die vielleicht größte Unsitte im modernen Fußball, sie ist an Leipzig-Leutzsch vorbeigegangen.
Ooops, fast hätte ich nun zum zweiten Mal in diesem Text das Wort »Fankultur« benutzt, das allerdings fahrlässigerweise, ohne zuvor bei DFL-Chef Christian Seifert anzurufen, der sich ja unter der Woche dadurch hervorgetan hat, dass er diesen Begriff mal eben definiert hat. »Die Ultras« (!) seien »der Totengräber der Fankultur«. Eine interessante Formulierung ohne jede Einschränkung, denn er spricht ja nicht von »den Ultras«, die irgendetwas Schlimmes machen - darüber hätte man ja durchaus reden können. Sondern gleich von allen. Spannend ist in diesem Kontext übrigens auch, dass Hoffenheim-Boss Dietmar Hopp von keinem einzigen Funktionär mal öffentlich darauf hingewiesen wird, dass seine Reaktionen auf das - natürlich - vollkommen hohle Schmähtransparent in Köln von einem vollkommen irregeleiteten Rechtsverständnis ausgehen. Was bitte sollen die Vereine, was bitte soll der Verband dagegen tun, wenn tausende Menschen Schmähgesänge anstimmen? Soll er sie in einen schalldichten Käfig sperren, sie gar nicht erst ins Stadion lassen? Oder könnte Herr Hopp endlich mal den Gedanken an sich heranlassen, dass gerade seine hyperventilierenden Reaktionen erst dafür sorgen, dass sich einige Fankurven auf ihn kaprizieren?
Hätte sich Hopp nicht schon vor Jahren so aufgeregt, als Dortmunder Fans ihn mit den schwachsinnigen Gesängen überzogen, würde sich heute kaum ein Fan mehr an der TSG und ihrem Gönner abarbeiten. Was es ansonsten noch zur Scheinheiligkeit in Hoffenheim zu sagen gäbe, stand in der »Heilbronner Stimme«, wo man sich zurecht darüber wunderte, dass ein Mitarbeiter der Pressestelle einen kritischen Journalisten als »faul, untalentiert, unsympathisch« bezeichnete. Hier in diesem Zusammenhang noch eine andere Beobachtung. Dass die Hoffenheimer Fans in den Heimspielen gegen Dortmund auch stets fleißig das Lied von den »BVB Hurensöhnen« anstimmen, dürfte die Dortmunder Fans kein bisschen gestört haben. Aber die Hoffenheimer Offiziellen, die hätten doch eigentlich richtig entsetzt sein müssen, oder?
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