»Heimat ist dort, wo meine Familie wohnt«
Lucas Gregorowicz über deutsch-polnische Klischees und seine Rolle als zweisprachiger Kommissar Raczek im »Polizeiruf«
Herr Gregorowicz, wie gut sprechen Sie Polnisch?
Ich bin auf dem Niveau eines Zehnjährigen stehengeblieben. Ich spreche mit meinen Eltern polnisch, mir fehlen dabei oft Vokabeln und das Gespür für die Umgangssprache. Dieser persönliche Hintergrund passt gut zur Rolle. In den kommenden Folgen wird enthüllt, dass Adam Raczek ähnlich wie ich sozialisiert wurde.
Ist jeder Dreh für Sie mit einem Auffrischen der Sprache verbunden?
Ich habe die polnische Sprache und Kultur früh verinnerlicht. Sich wieder mit ihr und dem Land zu beschäftigen, ist eine Bereicherung, die Toleranz und Verständnis fördert.
Lucas Gregorowicz, 1976 in London als Sohn polnischer Einwanderer geboren, wuchs seit seinem zehnten Lebensjahr in Bochum auf. An der Seite von Moritz Bleibtreu schaffte der Schauspieler, der nach einem Engagement in seiner Heimatstadt nach Zürich und ans Burgtheater in Wien gewechselt war, in der Kifferkomödie »Lammbock« den Durchbruch vor der Kamera. Seit 2015 ist er neben Maria Simon (re.) im rbb-»Polizeiruf 110« als Kommissar Adam Raczek (li.) zu sehen. In der Episode »Muttertag« klären sie ein mörderisches Eifersuchtsdrama auf. Mit ihm sprach Katharina Dockhorn.
Was bedeutet Heimat für Sie?
Ich habe mir darüber echt den Kopf zerbrochen. Ich kann mir die Nationalitäten und Identitäten aussuchen, ich bin so oft umgezogen. Wahrscheinlich ist Heimat dort, wo meine Familie wohnt. Im Moment in Berlin.
Verfolgen Sie die gesellschaftlichen Entwicklungen in Polen genau?
Da ich selten in Polen bin, fehlt mir oft der Kontext, um ein fundiertes Urteil zu fällen. Polen wird mein Geburtsland bleiben, ansonsten ist es heute ein Land wie jedes andere für mich. Ich verfolge die politischen Ereignisse, dafür nutze ich auch die dortigen Medien. Deren Nachrichten hinterfrage ich ebenso wie die von deutschen Anbietern, Fake News und Propaganda gab es ja immer. Es ist nur schwieriger geworden, zu unterscheiden und sich zu orientieren.
Was sprach neben dem Aufwärmen Ihrer polnischen Wurzeln für das Angebot des RBB, diese Rolle zu übernehmen?
Neben der Rolle passen die Rahmenbedingungen. Der Sender möchte höchstens zwei Filme pro Jahr drehen, das lässt mir ausreichend Zeit für andere Projekte.
Sie stehen im Moment selten auf der Bühne, dafür sind Sie im Kino in »Lammbock« und bald in »Sommerfest« zu sehen.
Ich habe mich im Moment für die Kamera und nicht gegen das Theater entschieden. Ich war länger als geplant in Wien verpflichtet, nachdem ich dort meine Frau Adina Vetter kennengelernt hatte. Theater muss man wollen. Es flößt mir eine andere Art von Respekt ein, abends live auf der Bühne zu stehen. Man blutet. Und nicht zuletzt muss man Theater mit den richtigen Partnern machen. Ich bin von Jürgen Kruse nach Wien geholt worden, der mit seinen Inszenierungen am Staatstheater Bochum unter der Intendanz von Leander Haußmann meine Leidenschaft für das Theater und den Beruf geweckt hatte. Ohne die beiden wäre ich vielleicht niemals Schauspieler geworden.
Vermissen Sie die Bühne?
Regisseure wie Kruse oder Haußmann sind rar in der deutschen Theaterszene. Entweder sind Inszenierungen altbacken und vorhersehbar, oder die Stücke nicht wiedererkennbar. Es ist schwierig, das richtige Maß zu halten, um die Tradition des Theaters zu bewahren und es trotzdem ständig weiterzuentwickeln.
Zurück zum »Polizeiruf«: Mussten Sie schießen lernen?
Das habe ich als Cowboy oder Indianer mit meinen Freunden. Ich habe nie eine Waffe besessen und habe kein Bedürfnis, das Schießen zu lernen. Wenn es für die Rolle erforderlich sein sollte, werde ich es mir en passant aneignen.
Haben Sie für Ihre »Polizeiruf«-Rolle beim deutsch-polnischen Kommissariat recherchiert?
Ein Morddezernat existiert dort nicht. Die Zusammenarbeit in der deutsch-polnischen Polizeidienststelle in Świecko, dem Vorbild für den »Polizeiruf«, ist juristisch und im Alltag kompliziert. Die Brandenburger Polizisten sind Beamte, ihre polnischen Kollegen besitzen befristete Arbeitsverträge. Auch die Gehälter der Männer und Frauen, die sich am Schreibtisch gegenübersitzen, unterscheiden sich signifikant.
Dazu kommen die Vorurteile, dass vieles, was nicht niet- und nagelfest ist, geschmuggelt wird. Wie geht man damit beim »Polizeiruf« um?
Niemand will die Vorurteile verschweigen oder die Reibereien an der Grenze leugnen. Die Filme müssen dazu eine Haltung finden, die kann auch mal politisch unkorrekt sein. Letztlich muss aber die Mischung aus Information und Unterhaltung stimmen.
ARD, So., 20.15 Uhr
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