»Früher oder später ...

Kathrin Gerlof über den Zusammenhang zwischen vorbildlicher Müllentsorgung und massenhafter Müllproduktion

  • Kathrin Gerlof
  • Lesedauer: 4 Min.

… erleiden alle Süchtigen einen allgemeinen ethischen Kollaps. Wenn die Masse vergeudeter Lebenszeit die Ladung zum Kippen bringt.« Peter Høeg (wieso streichen die Dänen ihr o durch, das ist so ein schöner Buchstabe) hat seine Hauptfigur im Roman »Der Susan Effekt« eine Menge kluge Dinge sagen lassen. Warum auch nicht, sie ist Naturwissenschaftlerin und beschäftigt sich andauernd mit dem Ende der Welt.

Was sprachliche Akrobatik anbelangt, ist aber auch die italienische Politikerin Pinuccia Montanari, in Rom zuständig für Müllentsorgung und Umwelt (diese Fachkombination passt eigentlich schlecht zusammen in Italien, es sei denn, die Mafia ist dafür zuständig), nicht zu verachten. Im Angesicht einer Hauptstadt, deren innerstädtische Müllhalden und -berge dafür sorgen, dass Tauben das Ausmaß eines Brontosaurus erlangen können, hat Montanari von der darin sich verbergenden Chance gesprochen. In echt habe man keinen Müllnotstand, stattdessen sei »Post-Konsumiertes« als Ressource zu betrachten. Post-Konsumiertes klingt auf jeden Fall besser als Kotze oder Sch... (böses Wort) oder Friede seiner Asche. So weit, so gut. Aber bevor wir uns jetzt, voller Häme und mit schmutzigen Fingern auf Leute südlich der Alpen zeigend, zurücklehnen, sei Folgendes geschrieben:

Wir, also wir Deutschen, sind zwar die Besten, wenn es um Recycling geht. Macht uns keiner was nach. Zumindest in Europa nicht. Ehrlich. Aber wir produzieren auch am meisten Müll. Zumindest in Europa. Da kann der Italiener sich noch was abgucken.

Ob das eine was mit dem anderen zu tun hat - darüber könnte ein philosophierender Literat wie der Däne mit dem durchgestrichenen o sicher viel sagen. Wenn wir so große Zauberer sind darin, Müllberge verschwinden zu lassen, könnte dies ja dazu beitragen, dass die Leute denken: Klappt doch alles supi. Ich seh’ den Müll ja gar nicht mehr, den ich gerade in die schwarze Tonne geschmissen habe. Und da hinten, da kommt doch schon das große gelbe Auto. Wenn da mein Müll erst mal drin liegt, ist er mir nicht nur aus den Augen, ich habe ihn schier im gleichen Augenblick vergessen. Und darum gehe ich gleich los, um meiner einzig Freude bereitenden Sucht zu frönen. Ich gehe einkaufen.

Susan, Peter Høegs Hauptfigur, irrt (wir würden nie einen Buchstaben durchstreichen, stattdessen bekommt das O von uns lustige Hasenohren und heißt dann Umlaut), wenn sie glaubt, wir Konsum- oder anders Süchtigen erlitten irgendwann einen ethischen Kollaps ob unseres schlechten Verhaltens. Ein ethischer Kollaps. Was soll das denn sein? Den kriegen wir ja nicht mal, wenn wir Geflüchtete heim ins Urlaubsland Afghanistan abschieben.

In Italien kriegen sie vielleicht einen. Ethischen Kollaps. Bevor sie in Rom im Müll ersticken und keine Touristen mehr kommen, räumen die Römer auf. Wie am vergangenen Wochenende. Auch wegen der dinosauriergroßen Tauben, die in dem nicht abtransportierten »Post-Konsumierten« rumwühlen, und wegen der Wildschweine, die dann sogar noch frech werden, wenn sie sich beim Wühlen gestört fühlen. Von den Ratten ganz zu schweigen.

Die Tageszeitung aus Süddeutschland allerdings hat es in der vergangenen Woche dann doch übertrieben, als sie schrieb, Deutschland wirke vom Straßenbild her vergleichsweise aufgeräumt. Überquellende Mülleimer und achtlos hingeworfener Abfall seien in deutschen Innenstädten nicht die Regel. Da müssen wir dann sagen: Leute, es gibt nicht nur München, es gibt auch Berlin. Und in der Hauptstadt führt das Post-Konsumierte schon ein ziemlich wildes Eigenleben, vor allem wenn es um Post-Grill-Gut in Parks geht. Auch die Tofuwurst kommt in einer Kunststoffhülle daher. Und in Berliner Parks wird sehr viel Tofuwurst gegrillt. Und in der Post-Konsumtions-Phase sieht ein Müll aus wie der andere.

45 Millionen Tonnen Hausmüll jährlich werden in Deutschland produziert. Eins muss man allerdings sagen. Die mit dem durchgestrichenen O sind sogar noch schlimmer, was das anbelangt. Uff!

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