Zeit für ein Wendemanöver
Für Tim Engartner wäre die Gründung der Bundesfernstraßengesellschaft eine Privatisierung durch die Hintertür
Die Große Koalition könnte demnächst der größten Privatisierung in der Geschichte der Bundesrepublik den Weg ebnen. Zwar ist die Bundestagsabstimmung über die Gründung der Bundesfernstraßengesellschaft am Dienstag aufgrund von nach wie vor »offenen Fragen« verschoben worden, doch verschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. Während bislang erst ein halbes Dutzend privater Autobahnteilabschnitte existiert, soll der Neu- und Ausbau der Bundesfernstraßen inklusive Betrieb künftig flächendeckend von Privatunternehmen betrieben werden (können). Banken, Baukonzernen und Versicherungen winken Renditen von mehr als 150 Milliarden Euro. Es drohen französische Verhältnisse. Mehr als acht Cent pro Kilometer zahlen Autofahrer mittlerweile in Frankreich, wenn sie über die »autoroutes« rollen. Die drei beteiligten Konzerne verdienen prächtig an den Autobahnen, die »Vater Staat« nur noch auf dem Papier gehören.
Die unlängst an die Öffentlichkeit gelangte Leitungsvorlage des Bundesfinanzministeriums macht deutlich, dass auch hierzulande die Pkw-Maut allen Beteuerungen zum Trotz das erklärte Ziel ist. Ein Rückfall zu Wegezöllen wie im Mittelalter droht. Denn mit der Änderung von 13 Grundgesetzartikeln soll der Beteiligung von privatem Kapital über Tochtergesellschaften, stille Beteiligungen oder Konzessionen nach dem Modell Öffentlich-Privater Partnerschaften (ÖPP) der Weg geebnet werden. Selbst die vollständige Umwandlung der Gesellschaft in eine Aktiengesellschaft ist rechtlich nicht ausgeschlossen. Parlament und Bundesrechnungshof würde die Kontrolle über das 12 949 Kilometer lange Autobahnnetz abhanden kommen. Die Privatisierung ist aus ökologischen, ökonomischen und verkehrspolitischen Gründen fatal. So kann die von allen etablierten Parteien proklamierte Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene nicht gelingen. Denn mit der Bundesfernstraßengesellschaft wird schon deshalb noch mehr Geld in den Straßenverkehr fließen, weil bei dieser die seit 2016 auf Bundesebene geltende Schuldenbremse laut EU-Regeln nicht greifen dürfte.
Tim Engartner ist Sozialwissenschaftler und Autor des Buches »Staat im Ausverkauf. Privatisierung in Deutschland«.
Der Anreiz für die Politik, öffentliche Schulden in Schattenhaushalten verschwinden zu lassen sowie mittels Lkw- und Pkw-Maut noch mehr Mittel für das Straßennetz aufzuwenden, ist groß. Fließt künftig noch mehr (privates) Geld in den Straßenbau, wird das Geschäft mit umweltschädlichen Fernbussen und Gigalinern weiter boomen.
Zu erwarten ist außerdem, dass die Privatisierung die Kosten in die Höhe schnellen lassen wird. Schon 2014 kam der Bundesrechnungshof zu dem Urteil, dass Bundesfernstraßen, die als ÖPP-Projekt gebaut und betrieben werden, in der Regel teurer sind als Projekte, die vom Staat umgesetzt werden. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass der Bund die für den Autobahnausbau und -neubau benötigten Kredite aufgrund seiner höheren Bonität deutlich günstiger aufnehmen kann als Privatunternehmen. Schließlich würden Autofahrer mit ihren Mautgebühren im Zweifel nicht nur die Instandhaltung und Sanierung der Straßen finanzieren, sondern auch die Dividenden für Aktionäre.
Zweifelsfrei wird die Privatisierung zu Lasten der Beschäftigten in den Straßenbauverwaltungen und Straßenmeistereien gehen. Tarifgebundene Stellen werden wegfallen. Überdies werden die staatlichen Institutionen das Know-how einbüßen, das es für den Bau und Erhalt von Bundesfernstraßen braucht. Der Staat entmachtet sich somit nicht nur selbst, sondern begibt sich zudem in eine weit über die Vertragslaufzeit von 25 bis 30 Jahren hinausreichende Abhängigkeit von privaten Bauherrn. Der Bund wird mit der Gründung der Gesellschaft »die Regieführung aus der Hand geben«, wie Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofs, unlängst zu bedenken gab.
Angesichts milliardenschwerer Investitionen, die in den kommenden Jahren in bröckelnde Straßenbeläge und marode Brücken gepumpt werden müssen, ist die Externalisierung der Kosten an Private verlockend. Dabei aber wird verkannt, dass mit der Autobahnprivatisierung Milliarden an Steuergeldern verschleudert, die Umwelt bedroht und Arbeitsplätze vernichtet würden. Es ist Zeit für ein Wendemanöver. Ein Machtwort von Martin Schulz könnte die gegenwärtige Geisterfahrt der Bundesregierung beenden. Bleibt der öffentliche Aufschrei weiterhin aus, wird die Privatisierungslawine mit unverminderter Wucht auf uns zurollen.
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