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Milliarden für das Militär: Schlechte neue Rüstungswelt
Der Westen pumpt Milliarden US-Dollar in seine Verteidigung. Das dürfte sich so schnell nicht ändern, befürchtet Jürgen Wagner
Die weltweiten Militärausgaben eilen von Rekord zu Rekord, wie die neuen Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes Sipri beweisen. Demzufolge stiegen die Militärausgaben 2024 gegenüber dem Vorjahr inflationsbereinigt um 9,4 Prozent auf 2718 Milliarden US-Dollar an. Antreiber dieser Entwicklungen sind nicht zuletzt die europäischen Nato-Staaten, deren Budgets sich laut Sipri auf 454 Milliarden summierten. Und hier ist dann wieder Deutschland zentral, das sich mit einem Anstieg um 28 Prozent mit 88,5 Milliarden US-Dollar Platz vier »erobert« hat. Im Jahr 2014 lagen die deutschen Ausgaben noch bei 44,7 Milliarden und haben sich damit innerhalb von zehn Jahren ziemlich genau verdoppelt.
Bedenklicher noch als diese Zahlen selbst ist die Aussicht, dass damit bei Weitem noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein dürfte: Beim anstehenden Nato-Gipfel im Juni sollen neue Ausgabenziele verabschiedet werden, die dem Vernehmen nach von derzeit zwei Prozent auf einen Wert zwischen drei und 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes noch deutlich angehoben werden sollen.
Begründet wird dieser Rüstungstaumel neuerdings vor allem damit, dass ein möglicher Abgang der USA zu kompensieren und dass die europäischen Militärausgaben derzeit »geringer als die Russlands« seien. Diese Rechtfertigung stand so im März 2025 im Weißbuch Verteidigung der Europäischen Union. Das macht stutzig, da die russischen Militärausgaben 2024 laut Sipri mit »nur« 149 Milliarden US-Dollar weit unter denen der europäischen Nato-Länder lagen.
Jürgen Wagner ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI).
Der Trick ist, dass inzwischen vermehrt nicht mehr auf Sipri, die eigentlich renommierteste Quelle in diesem Bereich, sondern auf die Military Balance des International Institute for Strategic Studies zurückgegriffen wird. Denn die Military Balance gibt auch kaufkraftbereinige Zahlen an, denen zufolge Russland – übrigens auch dann erst zum ersten Mal – im vergangenen Jahr mit 462 Milliarden US-Dollar auf eine höhere Summe als die europäischen Nato-Staaten kommt.
Kaufkraftbereinigte Zahlen sind aber alles andere als unproblematisch: Die Military Balance gibt selber an, sie könne keine für die EU-Staaten zur Verfügung stellen; und die eigentliche Referenz, Sipri, hält kaufkraftbereinigte Zahlen generell für ungeeignet, weil sich die Berechnungsgrundlage ziviler Güter und Dienstleistungen zu stark von militärischen unterschieden. Und selbst wenn man kaufkraftbereinigte Zahlen als Berechnungsgrundlage nimmt, haben die europäischen Nato-Staaten seit 2014 weit über 1000 Milliarden US-Dollar mehr als Russland in das Militär gesteckt.
Auch andere Untersuchungen vermögen den aktuellen Drang zur Aufrüstung leider nicht zu bremsen. So errechnete etwa die Greenpeace-Studie »Wann ist genug genug?« vom November 2024, allein die europäischen Nato-Staaten hätten bei den Großwaffensystemen eine Überlegenheit von mindestens drei zu eins gegenüber Russland. Parallel dazu versuchen arbeitgebernahe Organisationen wie das Kieler Institut für Weltwirtschaft, mit reichlich windigen Berechnungen eine Umstellung auf Kriegswirtschaft als neues Wachstumsmodell zu verkaufen. Und sie garnieren dies auch noch mit einer »Kanonen-statt-Butter-Rhetorik«, deren soziale Kälte einen erschauern lässt. Willkommen in der schlechten neuen Rüstungswelt!
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