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Wolfram Weimer: Der Rilke-Rezitator
Der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer ist bislang weder als Politiker noch als Kulturmensch auffällig geworden.
Ungnädig reagierten viele Menschen in den sozialen Medien auf die Meldung, neuer Kulturstaatsminister werde der Verleger Wolfram Weimer: Man war doch enttäuscht, sich nun nicht über Joe Chialo aufregen zu können, der lange als Favorit für den Posten gegolten hatte. So kam es zunächst nur zu etwas unpräzisem Gebrummel, ehe die Profis aus den Zeitungen rhetorische Munition lieferten: Sottisen für den Staatsminister! »Dass sich der Medienunternehmer für Kultur interessiert, war bislang nicht bekannt«, teilte die »Süddeutsche Zeitung« mit, und in der »FAZ« schrieb Jürgen Kaube: »Weimer ein Interesse an irgendeiner Kunst oder Geist zu unterstellen, wäre spekulativ«.
Dass Kaube somit einen Ex-Kollegen in die Pfanne gehauen hatte, war ein versöhnliches Schmankerl für Politklatsch-Freunde: Wolfram Weimer, geboren 1964 in Gelnhausen, begann seine Laufbahn als Wirtschaftsredakteur der »FAZ«, war Chefredakteur von »Welt«, »Berliner Morgenpost«, »Cicero« und »Focus«, und ist seit 2012 Verleger, zu dessen Firma Blätter wie »Business Punk« oder »Markt und Mittelstand« gehören.
Dass ein solcher Mensch unfähig sei, Kultur zu verstehen, ist natürlich eine böswillige Unterstellung, und wir wollen ihn in Schutz nehmen: Weimer hat eine Vielzahl an Büchern selbst geschrieben oder herausgegeben, und keineswegs nur Werke wie »Kapitäne des Kapitals. Zwanzig Unternehmerporträts großer deutscher Gründerfiguren« oder »Geschichte des Geldes. Eine Chronik mit Bildern«. Durchaus hat Weimer oft den Nachweis geführt, dass Geist und Gier spannende Synergien ergeben können. So hat er ein Buch »,Mit Platon zum Profit. Ein Lesebuch für Manager« im Portfolio, oder »Mit Goethe zum Gewinn. Ein Literaturlesebuch für Manager«.
Auch als streitbarer Philosoph ist Weimer in Erscheinung getreten, vor allem in seinem zentralen Werk »Das Manifest des Konservatismus« (2018), in dem er analysiert: »Das Comeback des Konservativismus hängt eng mit dem Niedergang linker Weltanschauungen zusammen. Diese erinnern viele Menschen im besseren Fall an depressive Gewerkschaftsseminare, an zeigefingernde Weltverbesserung und an ältere Männer mit Vaterproblemen. Während das Rotsein einstmals helfend-warm-mitfühlend war, wirkt es zusehends nurmehr soziologisch, kratzig oder kasernenhaft.«
Das ist Wolfram Weimers Welt nicht. »An weinseligen Abenden«, berichtet die »Bild« exklusiv, soll er »gerne mal Rilke rezitiert haben«. Wir sind froh darob! Welche Zeilen es wohl gewesen sein mögen von Rainer Maria, dem zarten Großlyriker und Mussolini-Verehrer? »Wenn der Alltag dir arm erscheint, klage ihn nicht an – klage dich an, dass du nicht stark genug bist, seine Reichtümer zu rufen«? »Die Kunst geht von Einsamen zu Einsamen in hohem Bogen über das Volk hinweg«? Kasernenhaftes wird keinesfalls dabei gewesen sein.
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