Gegen jede Vernunft
Indien will die Atomkraftkapazitäten seines Landes verdreifachen
Von kritischem Überdenken bisheriger Weichenstellungen keine Spur: Die Regierung von Premier Narendra Modi von der konservativ-hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) will eher noch weiter Druck machen, um das, was einst an Atomkraftwerksplänen auf den Weg gebracht wurde, auch zügig umzusetzen. Mit dem aktuell bekannt gemachten Beschluss, zehn neue Nuklearreaktoren mit einer Gesamtleistung von 7000 Megawatt (MW) zu bauen, verdreifachen sich mittelfristig die Kapazitäten des Landes bei der zivilen Nutzung der Atomkraft. Derzeit sind an acht Kraftwerkstandorten insgesamt 22 Reaktoren installiert, die bei voller Auslastung 6780 MW liefern können. Noch einmal die gleiche Größenordnung werden jene Neubauten bringen, die bereits in der Konstruktion sind.
Bei den zehn Anlagen, die nun abermals dazukommen sollen, handelt es sich um Schwerwasserreaktoren des modernsten Typs einheimischer Bauart. Statt wie in der Vergangenheit zumeist auf Know-how aus dem Ausland zu setzen, wechselweise westliche oder russische Technik gemäß der indischen Erfordernisse zu adaptieren, gilt nun auch bei der nuklearen Stromerzeugung ganz die Devise »Made in India«, die die Modi-Regierung als generelle ökonomische Leitlinie ausgegeben hat.
Die neuen Investitionen in Sachen Atomkraft hätten einen Umfang von 700 Milliarden Rupien, also knapp zehn Milliarden Euro, jubelte unter anderem das Wirtschaftsblatt »Economic Times«. Energieminister Piyush Goyal wird mit der Aussage zitiert, dass man sich direkt und indirekt mindestens 33 400 neue Jobs erhoffe. In der Tat stehen viele Unternehmen in der Erwartung lukrativer Aufträge schon in den Startlöchern. So verwundert es nicht, wenn der Direktor von Larsen and Toubro, einem der größten Baukonzerne, die Regierungsentscheidung gegenüber dem Nachrichtenkanal NDTV als »historisch« bewertete.
Premier Modi hatte Anstrengungen zum Abbau der Energiekrise im Land schon bald nach seinem Amtsantritt 2014 zu einem der Kernpunkte seiner Agenda erklärt. Dass die Kapazitäten zur Stromerzeugung ausgebaut werden müssen, um mit dem stetig steigenden Bedarf Schritt zu halten, stellt niemand in Frage. Noch immer gibt es Tausende Dörfer, die nicht einmal ans Stromnetz angeschlossen sind. Und selbst bei vielen, die offiziell als elektrifiziert gelten, haben nur wenige Häuser einen Anschluss oder die Versorgung ist äußerst lückenhaft.
Nicht nur die Privatbürger verlangen nach gesichertem Stromfluss. Auch weiteres Wirtschaftswachstum, so der Konsens in Delhi, bedarf erweiterter Kapazitäten bei der Energieerzeugung. Bisher steht Atomstrom dabei nach Kohle sowie Wasserkraft und anderen erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarstrom aber nur an vierter Stelle.
Indiens älteste Reaktoren, Nummer eins und zwei im Kraftwerk Tarapur (TAPS) im westlichen Unionsstaat Maharashtra, gingen mit einer Nenngröße von jeweils 160 MW 1969 in Betrieb. Seither wurde nicht nur dort die Anzahl der Reaktoren auf vier erhöht. Bereits sechs Anlagen sind es im Kraftwerk Rajasthan, wo noch zwei weitere in Bau sind. Und die beiden größten Reaktoren von je 1000 MW, der zweite erst Ende März ans Netz gegangen, stehen in Kudankulam im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu. Gleich sechs Mega-Reaktoren von 1650 MW sollen in Jaitapur (Maharashtra) gebaut werden - ausgerechnet in einem Erdbebenrisikogebiet, wie nicht nur Greenpeace, sondern auch andere Kritiker warnen.
Selbst die Regionalregierung in Mumbai ist gespalten: Während die tonangebende BJP im April neue Gespräche mit den französischen Partnern führte, steht der ebenfalls rechte Koalitionspartner Shiv Sena bereits seit 2008 an der Spitze der lokalen Widerstandsbewegung. Auch in Kundakulam gibt es immer wieder Proteste, zudem an den Orten, wo das Uran zur Befeuerung der Anlagen abgebaut wird.
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