Nicht irgendeine Bücherfabrik
Der Publizist Ulrich Faure über den Malik-Verlag und linken Zeitgeist heute
Hundert Jahre Malik-Verlag - in der damaligen Zeit gab es Dutzende ähnlicher Verlagsprojekte. Warum erinnert man sich heute gerade an Malik?
Ob es Dutzende gab, wage ich zu bezweifeln. Wir haben es da keinesfalls mit einer Verlagsvielfalt zu tun, wie wir sie heute kennen. Aber es gab schon einige, wie den 1919 gegründeten Paul-Steegemann-Verlag. Auch dessen Bücher sind gesuchte Raritäten. Was Malik so dauerhaft macht, hängt mit der Güte seiner Publikationen zusammen, mit Autoren, die bis heute Bestand haben, wie Ilja Ehrenburg, dessen »Lasik Roitschwantz« gerade eben wieder in der Anderen Bibliothek veröffentlicht wurde. Ganz zu schweigen von Autoren wie Isaak Babel, Bertolt Brecht oder George Grosz.
Was war das Erfolgsgeheimnis des Verlagsgründers Wieland Herzfelde?
Herzfelde hatte schon ein sicheres verlegerisches Händchen, was die Auswahl der Autoren und Titel angeht. Dazu kommen die weltberühmten Heartfield-Schutzumschläge. Schon in den 1920er Jahren waren diese so begehrt, dass sie zu Herzfeldes Ärger von vielen Buchhändlern separat bestellt wurden. Die Umschläge sind tatsächlich eigenständige Kunstwerke, die noch in Jahrzehnten Bestand haben werden. Nicht zuletzt hat Herzfelde es verstanden, seinen Verlag mit einer Aura zu umgeben: Ob all die Legenden, die er immer wieder erzählt und aufgeschrieben hat, stimmen, sei dahingestellt, aber sie lenken doch immer wieder den Blick auf die abenteuerliche Publikationsgeschichte. So ist Malik nicht irgendeine Bücherfabrik geworden, sondern ein Verlag, der menschelt, dessen Autoren man auch persönlich zu kennen glaubt.
War nicht ein Erfolgsgeheimnis das Bündnis mit wirklich bedeutenden Künstlern wie Grosz und Heartfield, die der Verlag eher brauchte als sie diesen?
Das ist tatsächlich das Erfolgsgeheimnis. Mit zweitrangigen Künstlern hätte der Verlag nie diese Bedeutung erlangt. Und dessen Einmaligkeit hat natürlich mit der Einmaligkeit seiner Künstler zu tun. Heute würde man Grosz zeitgemäß als Ausnahmetalent bezeichnen. Künstler wie Grosz waren auch Persönlichkeiten, die sich um Markteinflüsse nicht geschert haben. Denen war es auch egal, ob sie mit ihrer Kunst vor Gericht gezerrt wurden. Was sie zu sagen und zu zeigen hatten, haben sie halt gemacht, ohne vorher ihren Anwalt zu konsultieren.
Der große Einfluss von Verlagen wie Malik beruhte sicher auch auf den klaren ideologischen Grenzziehungen ihrer Zeit, nicht selten drohte beim Überschreiten der Grenzen Haft. Heute herrscht in Deutschland weitgehende Meinungsfreiheit, zugleich aber bleibt Streit recht folgenlos und hat wenig Einfluss in der Öffentlichkeit. Ist es vorstellbar, dass linke Verlage wieder die geistige Strömung der Zeit mitbestimmen?
Ob Malik tatsächlich großen Einfluss hatte, wage ich zu bezweifeln. Er hatte natürlich in politisch so dramatischen Zeiten wie den 1920er Jahren sein Publikum, aber man kann das nicht mit dem Einfluss vergleichen, den Konzerne wie die von Münzenberg oder Ullstein gehabt haben. Marktbeherrschend war damals wie heute die Unterhaltung: Courths-Mahler hat Auflage um Auflage verkauft, selbst Döblins größter Erfolg »Berlin Alexanderplatz« dümpelte dagegen bescheiden vor sich hin.
Und was ist mit dem linken Zeitgeist heute?
Sicher: Haft droht heute nicht mehr, schaut man sich aber heute Prozesse um Bücher an, könnte man den Kopf ebenso schütteln wie über Urteile in der Weimarer Republik. Statt Haft drohen heute Geldstrafen, die vor allem engagierte Kleinverlage empfindlich treffen - und wenn es nur um den in Mode gekommenen Klagegegenstand Persönlichkeitsrechtsverletzung geht. Weit öfter allerdings bleiben Meinungsäußerungen in der Flut der Neuerscheinungen völlig unbeachtet.
Ist linkes Denken heute überhaupt noch mehrheitsfähig?
Nachdem sich der »Sozialismus« in der DDR als, höflich gesagt, Bluff herausgestellt hat, ist linkes Denken hierzulande ins Abseits geraten. Was vor allem mit den Protagonisten zu tun hat: Stalin, Ulbricht, Honecker und wie sie alle hießen, haben natürlich der Welt explizit vorgeführt, wohin ihre Ideologisierung führte. Und da reden wir nicht mehr von Verirrungen, sondern von Verbrechen. Nach 1989 wurde zudem offensichtlich, dass es den ach so kommunistischen Revolutionsführern um nichts anderes ging als um Machterhalt und Sicherung ihrer Pfründe, den Genuss von Privilegien, die den einfachen Parteimitgliedern strikt verboten waren. Dazu kam ein trauriges intellektuelles Niveau dieser Führungselite, deren Lieblingsbeschäftigung es war, zusammengetriebenes Wild gemeinschaftlich abzuknallen und immergleiche Reden zu schwingen. Das alles hat die Glaubwürdigkeit alles Linken dauerhaft beschädigt und diskreditiert. Da es in allen sozialistischen Ländern so war, darf man es wohl symptomatisch nennen. Unter diesen Voraussetzungen dürfte es schwerfallen, geistige Strömungen mitzubestimmen.
Der Malik-Verlag wurde ohne Kapital gegründet, zahlte nahezu jahrelang seine Druckereirechnungen nicht und lebte auch von Geldgaben privater - heute würden wir sagen - Mäzene. War der Verlag überhaupt in dem Sinne wirtschaftlich erfolgreich?
Das ist in einem Wort zu beantworten: Nein.
Für Herzfelde war der ökonomische Erfolg mehr Mittel zum Zweck, preiswerte Literatur und Bildung unter die Leute zu bringen? Ist so etwas heute noch nötig in Zeiten der Kostenlos-Kultur des Internets?
Nötig wäre es mehr denn je. Nehmen wir nur das jüngste Beispiel des Referendums in der Türkei. Man mag es nach den letzten hundert Jahren Weltgeschichte einfach nicht glauben, dass ein Volk - selbst wenn man den Anteil vermutlich manipulierter Wählerstimmen abrechnet - immer noch mit einem erschreckenden Anteil an Ja-Schreiern freiwillig wieder einen Diktator ermächtigt. Bildung könnte da schon helfen, aber das wird in Zeiten des Internets immer schwieriger. Informationsüberflutung hat leider dieselben Auswirkungen wie Informationsentzug.
In der laufenden Ausstellung »Kabinett Malik« sind beinahe vollständig die Publikationen des Verlags zusammengebracht worden. Welche sind die wichtigsten?
Ich wüsste nicht, wo es in den letzten Jahren eine solch vollständige Ausstellung an Malik-Büchern gegeben hätte. Besser kann man den Verlag nicht präsentieren. Sich auf die wichtigsten Publikationen festzulegen, hieße im Umkehrschluss: Die nicht genannten Titel wären weniger wichtig. Vielleicht haben heute - angesichts der politischen Ausrichtung des Verlags - nicht mehr alle Bücher die gleiche Brisanz wie zu ihrer Entstehungszeit. Was man aber nicht bei Malik findet, ist das, was man heute Weglasstitel nennt, also Bücher, die nur gemacht werden, damit man eine Novität hat, die der geneigte Buchhändler mit dem Novitätenbonus als einziger Empfehlung ins Regal stellt.
Die Ausstellung »Kabinett Malik« ist noch bis zum 28. Mai im nd-Gebäude am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin-Friedrichshain zu sehen. Infos: heartfield-grosz.berlin
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