Kitzelt das Auge und den Verstand
Die Zeichnungen des Karikaturisten Jens Natter schildern das Leben im Hamburger Szenestadtteil Schanze
Jens Natter wohnt nur einen Steinwurf vom Hamburger Schanzenviertel entfernt. In seinem neuen Buch skizziert der Zeichner und Cartoonist das bunte Leben im Szenestadtteil. Die Kurzcomics sind eine gelungene Mischung aus historischen Miniaturen und humorvoll aufbereiteten Alltagsepisoden.
Einmal hat er Besuch aus der Schweiz, mit dem er am Ende eines feucht-fröhlichen Kneipenbummels im Lokal »Mutter« landet. Es ist spät in der Nacht. Plötzlich dringt ein schrilles »tatütata« durch die Tür. »Wieder Krawall wegen des Schanzenfestes«, klärt der Wirt die Gäste auf. Dem angeschickerten Natter dämmert, was das zu bedeuten hat: »Mist, dann wird das Viertel von der Polizei wieder komplett abgeriegelt. Der Heimweg wird ewig dauern.« Was tun? Der Gastgeber löst die Situation pragmatisch: »... wir nehmen dann noch zwei!« Das ist der Stoff, aus dem der Zeichenkünstler seine Bildgeschichten schöpft. Die eben beschriebene, die das Leben in einem, nun ja, quirligen Stadtteil schrieb, heißt treffend »bei muttern«.
Doch Jens Natter kann auch anders. In der Geschichte »Der 1. Hagenbeck« erinnert er an die Anfänge des heute weltberühmten Zoos am Pferdemarkt, »Rumble in the Flora« skizziert das Leben des Sinto-Boxers Johann »Rukeli« Trollmann und der »Zoff um den Wasserturm« handelt vom Kampf um öffentliche Räume. Nur dank der Proteste von Anwohnern ist das Areal rund um den 1910 erbauten Wasserspeicher noch heute für jedermann betretbar. Am Stadtviertel »Schanze« reizt Natter die Widersprüchlichkeit, weil gerade durch die Reibung hier der Stadtteil ein eigenes Gesicht bekomme.
Seit 2006 wohnt Jens Natter mit seiner Familie in Eimsbüttel, wo der studierte Sozialpädagoge bis 2013 in der Kinder- und Jugendhilfe tätig war. Seit 2014 lebt er ausschließlich von seiner künstlerischen Tätigkeit in den Bereichen Comic, Cartoon und Karikatur. Damit ging ein Wunschtraum des 41-Jährigen in Erfüllung, denn: »Ich bin bereits als Kind von Comics fasziniert gewesen. Ich glaube, ein Stapel alter Comichefte, an den ich irgendwie gelangt bin, war der Auslöser.« Erst sei es das Abzeichnen der Figuren gewesen, später weitete er seine Leidenschaft auf selbsterdachte Figuren und Handlungen aus.
Eine besondere künstlerische Herausforderung seien Cartoons, so Natter. Bei diesen Ein-Bild-Witzen gälte, »je kürzer und klarer der Text ist, desto treffsicherer wird er meist auch in der Pointe«, erklärt der Künstler. Natter, der auch als Schnellzeichner auf Veranstaltungen tätig ist, changiert zwischen Illustration, Comics und Karikaturen. »Das führt aber manchmal auch dazu, dass ich bei den vielen Stilwechseln die einzelnen Grundregeln der jeweiligen Genres vergesse«, so Natter. Im positiven Fall komme etwas Neues dabei raus, im negativen unklares »Gekritzel«. Von wegen Gekritzel - Natters mit feinem Stift gezeichnete »Ein-Bild-Witze« und Geschichten erfreuen nicht nur das Auge, sondern kitzeln auch den Verstand.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.