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Großbritannien: Labour startet Aufholjagd

Britische Sozialdemokraten legen in den Umfragen zu / Corbyns linkes Wahlprogramm offenbar attraktiv / Konservative verärgern Rentner

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war eine flammende Wahlkampfrede, vor Tausenden jubelnden jungen Engländern. »Wollt ihr Wohnungen, wollt ihr eine Gesundheitsversorgung, oder wollt ihr Bildung nur für wenige und die Fuchsjagd?«, schleuderte Jeremy Corbyn dem Publikum bei einer Spontanrede auf dem Wirral Festival entgegen. Die kurze Rede des Labour-Vorsitzenden endete in lauten »Wählt Jeremy Corbyn« Sprechchören. Der Auftritt Corbyns, der tausendfach in den sozialen Medien geteilt wurde, zeigt die neue optimistische Stimmung im Labour-Lager. Denn seit der Veröffentlichung ihres explizit linken Wahlprogramms vergangene Woche holt die Partei in den Umfragen auf, auch weil die Konservativen die Briten mit Sozialkürzungen empören.

35 Prozent würden derzeit für Labour stimmen, 44 Prozent für die Konservativen. Das ermittelten die Meinungsforscher von YouGov. Damit ist der lange scheinbar uneinholbare Vorsprung der Tories zwei Wochen vor der Wahl auf nur neun Prozent gesunken, den niedrigsten Wert in diesem Jahr. Andere Umfragen zeigen etwas günstigere Werte für die Konservativen, aber den gleichen Trend steigender Zustimmung für Labour. Mit diesen Werten liegt Corbyn komfortabel über denen seines Vorgängers Ed Miliband. Der hatte bei den Parlamentswahlen 2015 30,4 Prozent der Stimmen erhalten. Sollte Corbyn 35 Prozent der Stimmen oder mehr erhalten, dürfte ihm der Parteivorsitz auch nach einer verlorenen Wahl nicht zu nehmen sein.

Corbyn war im September 2015 von einer Welle von Neueintritten und linkem jugendlichen Engagement gegen den Widerstand der Parteirechten in der Parlamentsfraktion zum Parteivorsitzenden gewählt worden. Seitdem hatte das Parteiestablishment immer wieder gegen den linken Corbyn intrigiert und behauptet, Labour sei mit Corbyn »unwählbar«.

Und nicht nur beim Wirral Festival am Wochenende zeigte sich eine neue Politikbegeisterung junger Briten. Seit der Verkündung der Neuwahlen durch Theresa May Ende April haben sich laut Angaben der Electoral Reform Society 714.000 junge Briten in die Wählerverzeichnisse neu eintragen lassen. Fast ebenso viele 25- bis 34 jährige taten das Gleiche. Noch bis heute Abend können sich Wähler registrieren. In den letzten Wochen hatte es auf Facebook und Snapchat Kampagnen gegeben, die junge Briten aufgefordert hatten sich in die Register einzutragen. Viele Hip-Hop-Künstler, darunter der nigerianischstämmige MC JME und der afrokaribische Sänger Akala, trommeln mittlerweile in den sozialen Netzwerken für Jeremy Corbyn.

Damit könnte der Trend jugendlicher Politikabstinenz gebrochen werden. In den letzten drei Jahren war die Zahl der Schulabgänger, die die Wahlberechtigung beantragten, laut Angaben der Electoral Reform deutlich zurückgegangen. Fehlende Unterstützung junger Menschen hatte Labour bei den Wahlen 2015 geschadet. Bei den letzten Parlamentswahlen 2015 lag die Wahlbeteiligung junger Briten unter 25 Jahren nur bei 40 Prozent, die der britischen Senioren über 65 Jahren hingegen bei 78 Prozent. Und die wählen eher konservativ.

Jeremy Corbyn | This Election Is About You

Doch es ist nicht nur jugendlicher Enthusiasmus, der Labour seit der Veröffentlichung des explizit linken Wahlprogramms der Partei letzte Woche trägt. Der Grund für die steigenden Umfragewerte von Labour könnte auch die Verärgerung älterer Wähler über das Programm der Konservativen sein. Das enthält zunächst klassisch konservative Themen: weniger Migranten, ein einfacheres Steuersystem, höhere Verteidigungsausgaben und eine Volksabstimmung, ob die Fuchsjagd wieder erlaubt werden solle.

Außerdem sollen ältere Briten in Zukunft mehr für ihre Krankenversicherung zahlen, auch das eigene Haus oder die eigene Wohnung soll zur Begleichung der Kosten herangezogen werden dürfen. »Demenz-Steuer« wurde der Vorschlag in der britischen Presse schnell genannt, mehrere konservative Abgeordnete sprachen sich dagegen aus. Gestern ruderte Theresa May angesichts der massiven öffentlichen Empörung britischer Rentner, die um ihre Lebensersparnisse fürchteten, zurück. Man wolle eine Deckelung der Ausgaben einführen, verkündete May.

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