Polens Staatsoberhaupt emanzipiert sich

Andrzej Duda fragt nach Befugnissen, die einer vom Volk gewählten Person auch zustehen sollten

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 4 Min.

Für seine Ankündigung hätte Staatspräsident Andrzej Duda wohl kaum einen symbolträchtigeren Tag aussuchen können. Es war der 3. Mai, in Polen ein gesetzlicher und Nationalfeiertag, der an die Geburt der ersten moderne Verfassung Europas im Jahre 1791 erinnert. Weltweit gesehen ist gar nur eine älter als die polnische: die der USA.

Allerdings war die Maiverfassung nur ein Jahr in Kraft, dann fiel die Adelsrepublik der Teilungspolitik zum Opfer. Umso mehr gilt dieser erste demokratische Atemzug Jahrzehnte vor dem Völkerfrühling als ein bedeutendes Kapitel der polnischen Geschichte. Duda nutzte den erhabenen Moment, um das Thema der aktuellen Verfassung anzusprechen und den Vorschlag zu unterbreiten, im Jahr 2018 das polnische Volk nach seiner Meinung zu einer Verfassungsänderung zu befragen.

Nach dem zuletzt offen ausgetragenen verbalen Krieg zwischen der EU und der Türkei rief ein solcher Vorschlag bei den Polen gemischte Reaktionen hervor. Zwar möchte der promovierte Jurist Duda dem Referendum eine breit angelegte »gesellschaftliche Debatte« voranstellen, an der auch Konstitutionalisten aus unterschiedlichen Lagern mitwirken, doch hat er es am 3. Mai verpasst, konkrete Änderungsvorschläge zu benennen.

Der Wunschtermin des Präsidenten ist nicht weniger symbolisch als der Tag der Ankündigung. Im November nächsten Jahres feiert Polen das 100-jährige Jubiläum der staatlichen Unabhängigkeit. Auch finden dann zeitnah Lokalwahlen statt. Beide »Befragungen« könnten zusammengelegt werden, so dass die Opposition dann wohl kaum die hohen Kosten eines Referendums als Gegenargument ins (Schlacht-)Feld führen könnte.

Ansonsten sind sich auch viele Politiker der oppositionellen Bürgerplattform (PO) einig, dass die Verfassung von 1997 einer Verbesserung bedarf, besonders was die Privilegien des Staatsoberhaupts betrifft. Hier oszilliert das polnische Präsidialsystem irgendwo zwischen dem in Frankreich, wo der erste Mann im Staate mit vielen Befugnissen ausgestattet ist, und dem in Deutschland, wo der Bundespräsident von einer Bundesversammlung gewählt wird.
An der Weichsel indes muss das vom Volk gewählte Staatsoberhaupt während des Wahlkampfs Versprechen abgeben, an deren Einlösung ihn später die jetzige Verfassung hindert. Dies käme allenfalls festgefahrenen »politischen Cliquen« zugute, so Duda. So müsse letztlich Volkes Stimme entscheiden, ob der Präsident lediglich repräsentative Aufgaben übernehmen oder aktiv in Regierungsgeschäfte eingreifen kann. Sind die Vorwürfe der Opposition berechtigt, wenn sie in diesem Kontext der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) »absolutistische Herrschaft« vorwirft?

Auch der heutige EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte als polnischer Ministerpräsident von 2007 bis 2014 das aktuelle Grundgesetz mehrmals bemängelt. Dudas Amtsvorgänger Bronislaw Komorowski hatte 1997 als Sejm-Abgeordneter mit einer flammenden Rede gegen die Einführung des Grundgesetzes protestiert, obwohl das heute nicht mehr zu seiner Rolle als graue Eminenz der Opposition passt.

Während die PO momentan ohnedies aus jedem Vorschlag Dudas diesem einen Strick zu drehen versucht, gehen auch in regierungsnahen Medien die Meinungen auseinander. »Die bloße Ankündigung eines Referendums reicht nicht aus. Duda weiß doch, dass die Opposition den Vorschlag angreift, da muss er ihn schon untermauern. Jetzt hat er sich leider angreifbar gemacht«, schreibt Pawel Lisicki, Chefredakteur der Wochenzeitung »Do Rzeczy«.

Erstaunlich sind auch die Reaktionen im Regierungslager selbst. »Wir wissen gar nicht, welche Änderungen Präsident Duda meint, das muss noch alles mit uns besprochen werden«, sagt Beata Mazurek, Fraktionssprecherin der PiS. »Die Idee zur Verfassungsänderung stammt nicht etwa von Duda, sondern von Jarosław Kaczyński, der diese in den letzten Jahren immer wieder thematisiert hat«, beteuert Regierungssprecherin Elżbieta Witek.

Auch Senatsmarschall Stanisław Karczewski nimmt keinen Blatt vor den Mund, wenn er zugibt: »Ich habe es erst aus den Medien erfahren, der Präsident hat keinem von uns Bescheid gesagt«. Vieles deutet also darauf hin, dass Duda das Referendum ohne vorherige Konsultationen mit den PiS-Bossen angekündigt hat. Bereits in den vergangenen Monaten hat er auf vielerlei Wegen versucht, sich zu emanzipieren. So gab es z. B. zuletzt Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidentenpalast und Antoni Macierewicz.

Der Verteidigungsminister und Parteivize Macierewicz gilt als rechte Hand Kaczyńskis für »besonders schwierige Aufgaben« und daher als unantastbar. In der beliebten Polit-Satire »Ucho prezesa« (Das Ohr des Vorsitzenden) wird Duda unterdessen als passiver Politiker dargestellt, der vor dem Dienstzimmer Kaczyńskis vergeblich auf einen Gesprächstermin wartet. Mit diesem Eindruck soll wohl bald Schluss sein. Aus der Sicht des Präsidenten scheint dies auch verständlich: In den Jahren 2018 und 2019 stehen in Polen Wahlen an, die PiS kann an den Wahlurnen bestraft werden oder zumindest die absolute Mehrheit verlieren. Duda regiert aber noch bis 2020 und kann mit einer Verfassungsänderung seine Macht festigen.

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