Roter Teppich für ausländische Patienten

Frankreichs Gesundheitssystem baut auch auf gut situierte Kranke aus anderen Ländern / Kritiker befürchten Abstriche bei anderen Behandlungen

  • Andrea Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Immer mehr Franzosen sind gezwungen, für größere und in Frankreich kaum erstattete Zahnbehandlungen nach Ungarn oder in die Türkei zu reisen. Zur gleichen Zeit lassen sich reiche Emire in Frankreich am Herzen operieren oder ihren Krebs behandeln. Da stellt sich die Frage, ob die Behandlung dieser Patienten nicht auf Kosten wenig betuchter Franzosen geht und so der Trend zur Zwei-Klassen-Medizin verstärkt wird. Die Befürworter argumentieren dagegen mit dem Solidarsystem: Nach dem Robin-Hood-Prinzip soll Frankreich bei Reichen abkassieren, damit Patienten in öffentlichen Krankenhäusern gleich gut behandelt werden können.

2014 hatte der damalige Außenminister Laurent Fabius bei Ökonomen eine Untersuchung über die Per-spektiven des Medizintourismus bestellt. Die Schlussfolgerungen waren positiv: Der Ausbau des Sektors könne bis 2020 Umsätze in Höhe von jährlich zwei Milliarden Euro einspielen und 30 000 Arbeitsplätze finanzieren.

Frankreich verfügt über viele Vorteile: Neben dem exzellenten Ruf seiner Ärzte und der guten technischen Ausstattung bietet es deutlich kürzere Wartezeiten als etwa Großbritannien und sehr viel niedrigere Kosten als die USA. Insbesondere vermögende Kranke aus den Golfstaaten, aus Russland, aber auch aus afrikanischen Ländern lassen sich vermehrt in Frankreich operieren oder behandeln.

Im Krebsforschungsinstitut Gus-tave-Roussy (IGR) in Villejuif, einem Vorort südlich von Paris, werden seit Jahren Patienten aus aller Welt behandelt. Von der Entfernung des Tumors bis zum Abschluss der Radio- und Chemotherapie bleiben sie meist mehrere Monate vor Ort, nicht selten mit einem Teil der Familie. Ein Residenzhotel in unmittelbarer Nähe des Instituts vereinfacht den Aufenthalt, das IGR stellt einen Bus für die Fahrt zwischen Hotel und Krankenhaus. Von den heute jährlich 48 000 im IGR behandelten Patienten kommen nur knapp 2000 aus dem Ausland, doch die bringen dem Krankenhaus 18 Millionen Euro ein.

Patienten aus dem Ausland zahlen in der Regel für die gleichen Leistungen 30 Prozent mehr als in Frankreich lebende Patienten. Bei einem mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt summiert sich das oft auf mehrere hunderttausend Euro, die prinzipiell im Voraus bezahlt werden müssen und zum Teil von den ausländischen Krankenkassen übernommen werden. Selbst wenn man die Reise- und Hotelkosten mitrechnet, bleibt Frankreich wettbewerbsfähig. Eine vergleichbare Operation und der Krankenhausaufenthalt würden in den USA oft drei Mal so viel kosten.

Das Defizit der öffentlichen Krankenhäuser beläuft sich im laufenden Jahr auf 600 Millionen Euro. Entsprechend willkommen sind die Mehreinnahmen aus dem Medizintourismus. »Die erwarteten zwei Milliarden Euro würden das Defizit gleich dreifach decken«, betont Frédéric Valletoux, Leiter des Französischen Krankenhausverbands, der eine »willkommene Atempause für unser Gesundheitssystem« begrüßt.

Angesichts der Überlastung des viel zu knappen Pflegepersonals, des Bettenmangels in bestimmten Fachbereichen und der zum Teil inakzeptabel langen Wartezeiten in der Notaufnahme stellt sich jedoch auch die Frage, ob die Krankenhäuser die Mittel und Kapazitäten haben, zusätzliche Patienten aufzunehmen. Wer kann garantieren, dass früher oder später nicht doch ein um 30 Prozent rentablerer Ausländer einem Franzosen mit staatlicher Minimalversicherung vorgezogen wird? Diese Sorge bewegt Christophe Prudhomme von der Gewerkschaft CGT Santé: »Ständig werden von den Krankenhäusern neue Einsparungen gefordert. Wir haben bereits alle Mühe, die französischen Patienten unter halbwegs akzeptablen Bedingungen zu behandeln.« »Bis jetzt habe ich keine zusätzlichen Mittel für die Behandlung von Patienten aus dem Ausland gesehen«, bestätigt auch Jean-Marc Devauchelle von der Gewerkschaft Sud Santé und warnt: »Werden sie bei gleichbleibendem Mittelumfang behandelt, so kann dies zwingend nur auf Kosten anderer Patienten gehen.«

Diese Furcht sei unbegründet, versichert hingegen Fréderic Valletoux, zumal der Anteil der Patienten aus dem Ausland selbst in den optimistischsten Visionen nicht mehr als fünf bis acht Prozent aller Patienten ausmache. Der Onkologe Serge Bonnetier vom IGR versichert ebenfalls, dass »der französische Patient vorrangig bleibt« und dass es relativ leicht sei, »das Therapieprogramm langfristig vorauszuplanen«.

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