Mindestlohn muss nicht für die Bereitschaftszeit gelten

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Das gilt zumindest dann, wenn ein Monatsverdienst ohne konkreten Stundensatz gezahlt wird und damit die Gesamtvergütung den Mindestlohnanspruch erfüllt, entschied das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in einem am 20. April 2017 veröffentlichten Urteil (Az. 8 Sa 313/16). Die Richter schlossen sich der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) an und billigten im Reformtarifvertrag des Deutschen Roten Kreuzes tarifliche Vorschriften zu Bereitschaftsdiensten.

Im konkreten Fall ging es um einen beim DRK angestellten Rettungsassistenten, der Lohnnachschlag forderte. Er arbeitete wöchentlich durchschnittlich 45,75 Stunden. Darin waren geleistete Bereitschaftszeiten enthalten. Laut DRK-Reformtarifvertrag betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden, konnte aber inklusive von Bereitschaftszeiten auf die gesetzliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von bis zu 48 Stunden ausgedehnt werden.

Einen konkreten Stundenlohn erhielt der Rettungsassistent nicht. Stattdessen war eine feste monatliche Gesamtvergütung im Tarifvertrag vorgesehen. Der DRK-Beschäftigte meinte, dass die tarifliche Gesamtvergütung sich nur auf die reguläre Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche beziehe. Im Tarifvertrag hätte aber auch der Stundenlohn für die Bereitschaftszeiten festgelegt werden müssen. Es sei gar nicht klar, dass diese Zeiten überhaupt vergütet werden. Die Vorschrift sei intransparent und somit unwirksam. Ihm müsse daher die »übliche Vergütung« und damit der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde Bereitschaftszeit (seit 2017 beträgt der Mindestlohn 8,84 Euro) zustehen. Insgesamt forderte er für das Jahr 2015 Lohnnachschlag von 3215 Euro.

Der Arbeitgeber lehnte die Forderung ab. Selbst wenn man den Monatsverdienst auf die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden umrechnen würde, würde der Verdienst immer noch deutlich den Mindestlohnanspruch erfüllen.

Das LAG schloss sich der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an. Das BAG hatte am 29. Juni 2016 (Az. 5 AZR 716/15) entschieden, dass Bereitschaftszeiten rechnerisch geringer als der Mindestlohn vergütet werden können. Das gelte zumindest dann, wenn tariflich oder im Arbeitsvertrag kein konkreter Stundensatz festgelegt wurde und der monatliche Gesamtverdienst geringer vergütete Bereitschaftszeiten wieder ausgleicht. Hier sei der Anspruch des Klägers auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt worden, so das LAG. Die Gesamtvergütung sei so hoch, dass sie selbst bei einer 48-Stunden-Woche über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt.

Der DRK-Reformtarifvertrag verstoße auch nicht gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz. Zwar würden Beschäftigte mit einer 48-Stunden-Woche umgerechnet pro Stunde weniger verdienen als Kollegen, die nur die reguläre Arbeitszeit und keine Bereitschaftszeiten ableisten. Diese Ungleichbehandlung sei aber sachlich gerechtfertigt. Denn ansonsten müssten der Anteil von Vollarbeit und Arbeitsbereitschaft und die sich daraus ergebende Vergütung aufwendig ermittelt werden, was »betrieblich kaum handhabbar« sei. Angesichts dieser Situation müssten die Tarifvertragsparteien Ungerechtigkeiten und Härten im Einzelfall hinnehmen. epd/nd

Bei freiwilliger Arbeit kein Verletztengeld

Arbeiten Beschäftigte nach einem Arbeitsunfall freiwillig weiter, erklären sie sich damit selbst für arbeitsfähig. Ein Anspruch auf Verletztengeld besteht dann nicht.

So urteilte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 13. April 2017 veröffentlichten Urteil (Az. L 6 U 1655/16). Arbeitnehmer sollten zunächst ihre Ansprüche gegen den gesetzlichen Unfallversicherungsträger klären, bevor sie wieder freiwillig starten.

Geklagt hatte ein ehemaliger Polizeibeamter, der seit 1983 wegen einer angeborenen Fehlbildung seiner rechten Hand in den vorzeitigen Ruhestand ging. Rumsitzen wollte der Mann jedoch nicht. Er arbeitete daher auf Minijobbasis für ein Sicherheitsunternehmen weiter. 2011 stürzte er beim Übersteigen einer Sperrkette und verletzte sich an Knie und Schulter. Seitdem arbeitet er im Pförtnerdienst.

Erst 2015 forderte er wegen dieses Unfalls Verletztengeld von der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Kasse lehnte den Anspruch ebenso ab wie nun das LSG. Voraussetzung für das Verletztengeld sei die Arbeitsunfähigkeit. Hier habe der Kläger nach seinem Unfall aber weitergearbeitet. Dass er nur leichtere Tätigkeiten im Pförtnerdienst übernahm, spiele keine Rolle. Arbeitsfähigkeit trete nämlich ohne Weiteres (fiktiv) dadurch ein, dass freiwillig eine andere Arbeit aufgenommen werde. epd/nd

Arbeitnehmer behalten bei Firmenübernahme alte Rechte

Arbeitnehmer können beim Wechsel des Firmeninhabers auch dann Rechte aus ihrem Arbeitsvertrag behalten, wenn sich diese Rechte auf künftige Tarifverträge beziehen.

So urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 27. April 2017 (Az. C-680/15 und Az. C-681/15). Geklagt hatten zwei Krankenhausmitarbeiter, deren Klinik im hessischen Dreieich-Langen vom Asklepios-Konzern übernommen wurde. Die beiden hatten unter dem früheren Besitzer Arbeitsverträge mit einer dynamischen Verweisungsklausel. Das Arbeitsverhältnis sollte sich dabei nach bestimmten Tarifverträgen richten und deren Änderungen nachvollziehen. Der neue Besitzer ging gegen die Klausel vor und berief sich dabei auf ein EU-Gesetz. Danach sei er zwar an die bisherigen Arbeitsbedingungen gebunden, müsse aber künftige Änderungen nicht mitmachen.

Der EuGH urteilte nun, dass die dynamische Verweisung auf die Tarifverträge dem EU-Gesetz zufolge durchaus weiter gilt. Allerdings gebe es dafür eine Bedingung, nämlich dass der neue Klinikträger dem nationalen Recht zufolge Möglichkeiten hat, einseitig die Arbeitsbedingungen wieder zu ändern. Hintergrund ist der Schutz der unternehmerischen Freiheit. Dass diese Bedingung im deutschen Recht gegeben sei, legt das Urteil nahe. Der EuGH verwies den Fall an die deutsche Justiz zurück. epd/nd

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