Privatisierung mit Folgen
Seit über 20 Jahren ist die Telekom kein Staatsunternehmen mehr, die Auswirkungen spüren Mitarbeiter in aller Welt bis heute
Als die privatisierte Deutsche Telekom im Jahr 1996 an die Börse ging, fiel unter dem Eindruck einer Werbekampagne die Idee der Volksaktie bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden. »Einige unserer Kollegen nahmen sogar Kredite auf, um Belegschaftsaktien zu kaufen«, sagte ein hessischer Telekom-Betriebsrat gegenüber »nd«. Auf den Höhenflug der T-Aktie mit einem Aktienwert von über 100 Euro folgte dann der jähe Absturz, der Kleinaktionären zusetzte. Euphorie und die Illusion, durch »Kouponschneiden« und »Däumchendrehen« ein erkleckliches und stetig steigendes Einkommen erzielen zu können, sind längst verflogen.
Doch Erinnerungen verblassen. So rühmte Telekom-Konzernchef Timotheus Höttges bei der Hauptversammlung des Konzerns am Mittwoch in der Kölner Lanxess-Arena vor Groß- und Kleinaktionären, dass der Aktienkurs mit rund 18 Euro »so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr« sei und verkündete einen »Dividendendreisprung, der sich sehen lassen kann«. Schließlich habe sich die Dividende pro Aktie von 50 beziehungsweise 55 Cent in den Vorjahren auf nunmehr 60 Cent gesteigert. Längst ist der Konzern zur europäischen Nummer Eins in der Branche und zum »Global Player« expandiert.
Viele Kleinaktionäre laben sich bei der alljährlichen Hauptversammlung an Brot, Spielen und Infotainment. Für kritische Aktionäre bieten solche Anlässe allerdings eine Plattform, um in der Aussprache ihrem Unmut über aktuelle Zustände Luft zu verschaffen und auf Ursachen und Schattenseiten des Milliardenüberschusses hinzuweisen. So beklagten Kleinaktionäre, dass der High-Tech-Konzern Privatkunden beim Wohnungsumzug keine rasche Umstellung der Telekomanbindung garantieren könne.
Gewerkschafter prangerten Arbeitsbedingungen bei ausländischen Tochterfirmen an. Wie in den Vorjahren kam Kritik an systematischer Gewerkschaftsvermeidung, Kungelei mit unternehmensnahen und streikablehnenden »gelben Gewerkschaften« und ständigem Druck auf die Beschäftigten durch Manager der Tochtergesellschaft T-Mobile USA auf. »Warum lassen sie das zu?«, lautete eine Frage an Höttges, der die US-Führungskräfte pauschal in Schutz nahm und T-Mobile USA als »eines der ethischsten Unternehmen weltweit« bezeichnete.
Eine Gewerkschafterin bemängelte zudem einen gewerkschaftsfeindlichen Kurs von Konzerntöchtern in Südosteuropa. In Albanien sperre sich angesichts von 17 Prozent Arbeitslosigkeit das Management gegen jegliche Gespräche und ziehe alle Register, um eine Gewerkschaft aus dem Betrieb fern zu halten.
Einer der wenigen Insider in der Aussprache war der Diplomingenieur Jochen Schlegel, der 35 Jahre lang als Führungskraft bei der Bundespost und beim privatisierten Nachfolgeunternehmen Telekom gearbeitet hatte. Er beklagt seit Jahren einen mit der Privatisierung einhergehenden »vorsätzlichen und schweren Betrug« an Beschäftigten, der Solidargemeinschaft sowie an Renten-, Pensions- und Krankenkassen - und zwar in Milliardenhöhe.
So habe es seit dem Einstieg in die Postprivatisierung 1995 eine massive Verdrängung von Beschäftigten mit Beamtenstatus durch gezielte Frühpensionierungen wegen angeblicher Dienstunfähigkeit sowie einen starken Druck zur freiwilligen Frühverrentung gegeben. Viele Monteure und Handwerker seien mit Geldbeträgen zur »freiwilligen« Auflösung eines unkündbaren Arbeitsvertrags und viele Beamte zur »freiwilligen« Aufgabe ihres Status’ gedrängt worden. All dies sei demütigend und schädige die Betroffenen bis zum Lebensende.
Für knapp 8000 Ex-Beamte habe es beim Rentenantrag eine »böse Überraschung« gegeben, nachdem sie festgestellt hätten, dass der Arbeitgeber die beim Statuswechsel erforderliche Nachversicherung »ganz oder großteils vergessen« habe. Angesichts eines »Gestrüpps von Gesetzesübertretungen, Firmenauflösungen, Arbeiten als Subunternehmer, verschwundenen Unterlagen und befürchteten Repressalien« sei eine wahrheitsgemäße Auskunft gegenüber Renten- und Sozialkassen nahezu undenkbar, so Schlegel, der vom Konzernvorstand eine »Aufarbeitung und Wiedergutmachung dieses Milliardenbetrugs« verlangte und seine Mithilfe anbot.
»Wann starten Sie die Nachentrichtung? Wann gewähren Sie Ihren früheren Mitarbeitern Einblick in die Berechnung der Betriebs- und Zusatzrenten?«, fragte er. Damit stieß er bei den Konzernchefs aber nicht auf Gegenliebe. »Ich persönlich habe das überhaupt nicht verstanden«, kommentierte Versammlungsleiter und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner Schlegels Worte und appellierte an die Redner, sie sollten sich auch angesichts der sommerlichen Witterung »kurzfassen und Spezialfragen postalisch an den Vorstand richten«.
Eine Antwort seien ihm Konzernchef Höttges und seine Zuarbeiter hinter der Bühne schuldig geblieben, berichtete Schlegel auf nd-Anfrage. Dabei stützt sich seine Kritik auch auf einen Bericht des Bundesrechnungshofs von 2008 zu den Folgen der Postprivatisierung. Die Reform belaste den Bundeshaushalt Jahr für Jahr in Milliardenhöhe und werde voraussichtlich noch bis zum Jahr 2070 Kosten verursachen, heißt es in dem Papier. Der Bund komme fast alleine für die Pensionen der Beamten auf, die in der alten Bundespost eine Mehrheit der Beschäftigten gestellt hatten.
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