Wertvoller als beim ersten Mal
Die Handballer der Rhein-Neckar Löwen verteidigen ihren Meistertitel und deklassieren dabei den Rekordsieger
Jennifer Kettemann musste schnell reagieren und fasste deshalb einen spontanen Entschluss. »Jetzt müssen wir eben ganz viel Bier von der Tankstelle holen«, sagte die Geschäftsführerin der Rhein-Neckar Löwen und schickte ein paar Mitarbeiter los. Sie wurde von der zweiten Handball-Meisterschaft für ihren Klub ein Stück weit überrollt, allerdings auf eine angenehme Weise. Mit der Titelverteidigung konnte nach dem Sieg am vergangenen Sonntag beim härtesten Rivalen SG Flensburg-Handewitt gerechnet werden, aber es war überraschend, dass die endgültige Entscheidung schon an diesem Mittwoch fiel. Die Löwen fegten im Heimspiel über den Rekordmeister THW Kiel mit 28:19 hinweg und weil unmittelbar zuvor die Flensburger in Göppingen unterlagen, sind die Badener bereits zwei Spieltage vor Saisonende nicht mehr von der Tabellenspitze zu verdrängen.
Die kurzfristig entstandenen Probleme wurden gelöst, die Löwen entpuppten sich als Könner der Improvisation, und als »Lohn« übergoss sich eine der ersten Bierduschen wenig später über Kettemann selbst. Spontane Feiern sind meist die schönsten und deshalb geriet die Party im Anschluss an den Kantersieg gegen Kiel zu einer richtigen Sause. Oft sind geplante Meisterfeiern inzwischen derart durchchoreographiert, dass Leidenschaft und Emotionen verloren gehen. In der Mannheimer Arena erlebten mehr als 13 000 Zuschauer und die Spieler der Löwen das Gegenteil. »Das wird eine lange Nacht«, kündigte Patrick Groetzki an, nachdem er wie ein kleiner Junge glückselig auf dem Bauch über den durch viel Bier nassen Hallenboden gerutscht war. Vor einem Jahr hatten seine Kollegen und er die erste Meisterschaft als Ende einer langen Durststrecke druckbefreiend erlebt. Diesmal herrschte einfach nur pure Euphorie.
Und es gab ein Gefühl der Genugtuung. Vor nicht einmal zwei Monaten wurde den Löwen trotz der Meisterschaft in der Vorsaison die Fähigkeit abgesprochen, große Titel gewinnen zu können. Wie so oft in den Jahren zuvor. Zum zehnten Mal waren sie beim Final-Four um den DHB-Pokal gescheitert. Hohn und Spott ergoss sich über Spieler und Trainer, in den sozialen Medien gab es böse Kommentare gegen die »Flaschen« und »Versager«. Jetzt wird ihnen am 10. Juni zum zweiten Mal hintereinander die Meisterschale überreicht - und das ist bemerkenswert.
Seit mehr als 20 Jahren ist der THW Kiel der Dominator des deutschen Handballs. Die »Zebras« gewannen zwischen 1994 und 2015 17 Mal den Titel und es gelang wechselnden Klubs - der TBV Lemgo und der Hamburger SV - jeweils nur einmal, diese Dominanz zu durchbrechen. Die Flensburger jagen seit 2004 vergeblich ihrer zweiten Meisterschaft hinterher. Erst den Löwen gelang es, den Erfolg zu bestätigen.
Den Wert ordnete der Sportliche Leiter Oliver Roggisch ein: »Es ist schon schwer genug, Meister zu werden. Das dann im nächsten Jahr noch einmal zu wiederholen, ist einfach der Wahnsinn.« Roggisch und Trainer Nikolaj Jacobsen führten die Mannschaft trotz kniffliger Voraussetzungen zum zweiten Titel. »Ich bin stolz auf meine Mannschaft und danke jedem, der an diesem Erfolg beteiligt war«, sagte Jacobsen, ehe er - wie zuvor schon die Geschäftsführerin - unter den Fontänen einer Bierdusche verschwand.
Der Däne hatte vor dieser Saison eine noch schwerere Aufgabe zu bewältigen: nachdem sich die Löwen bereits mit einem eng bestückten Kader zur ersten Meisterschaft gespielt hatten, gab es diesmal noch weniger Alternativen. Die Identifikationsfigur Uwe Gensheimer wechselte nach Paris, wurde sportlich von Gudjon Valur Sigurdsson allerdings adäquat ersetzt. Keinen Ersatz gab es hingegen für Stefan Kneer. Den Ex-Nationalspieler mussten die Löwen in Richtung Wetzlar ziehen lassen und hatten keine finanziellen Mittel, um eine brauchbare Alternative zu beschaffen.
Also arbeitete sich ein Mini-Kader, angeführt vom genialen Spielmacher Andy Schmid, erneut durch eine Vielzahl von Spielen in drei Wettbewerben und schaffte es, im Jahr 2017 in der Liga bislang ohne Niederlage zu bleiben. In der entscheidenden Saisonphase waren die Badener da - und konnten deshalb vorzeitig feiern.
Auch Schmid. Der Kopf der Mannschaft hatte wie Geschäftsführerin Kettemann Mittwochabend ebenfalls mit Problemen zu kämpfen, die spontane Partys nun einmal mit sich bringen. »Ich bin mit dem Auto gekommen und habe außerdem gar keine Klamotten zum Feiern dabei«, sagte der Schweizer. Das bübische Grinsen von Schmid verriet aber, dass er nicht plante, sich die Sause deshalb entgehen zu lassen.
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