Mysterien des Alltags
Sieben Tage, sieben Nächte: Regina Stötzel über dreckiges Geschirr, verschmierte Lesebrillen und einen Paternoster im Urlaubsmodus
Gewöhnlich verhält es sich so: Morgens herrscht noch weitgehend Ordnung an der Küchenzeile. Doch im Laufe des Tages - manche von Ihnen werden das aus WG-Küchen kennen - sammeln sich Tassen, Teller und Besteck auf der Arbeitsfläche, obwohl die Spülmaschine nur darauf wartet, befüllt zu werden. Mit der Anzahl der sichtbaren schmutzigen Gegenstände steigt die Wahrscheinlichkeit, einem Kollegen zu begegnen, der sagt: »Ich frage mich, wer seinen Kram immer da hinstellt. Es kann doch nicht so schwer sein ...« Sie wissen schon.
Eine branchenübliche kritische Nachfrage ergibt, dass die Person, die dies sagt, natürlich selbst immer alles sofort in die Spülmaschine räumt. Die Autorin dieser Zeilen selbstverständlich auch. Im weiteren Verlauf des Gesprächs stellt sich heraus, dass beide noch nie jemanden dabei erwischt haben, die Tasse unerhörterweise oben abzustellen, und ausschließlich Kollegen kennen, die dies weit von sich weisen. Da weiteres Material fehlt, um der Sache auf den Grund zu gehen (Kameraaufzeichnungen, Aussagen heimlicher Beobachtungsposten hinter der Papiertonne), bleibt ein großes Rätsel.
Täglich recherchieren wir, zapfen unsere Kontakte an, bemühen Studien und Experten, fordern die Ergebnisse von Anfragen an und zählen selbst noch eins und eins zusammen - und doch: Manchen Mysterien kommen wir einfach nicht auf die Spur. So warf auch die derzeitige Nichttätigkeit des Paternosters Fragen auf. Ist er kaputt? Steht sein Jahresurlaub an? Die Recherche einer Kollegin brachte lediglich die Aussage einer vertrauenswürdigen Informantin hervor: »Manchmal ist das so.«
Warum sind die Gläser der Lesebrille ständig verschmiert, obwohl die Besitzerin peinlich genau darauf achtet, sie niemals mit fettigen Fingern anzufassen, und die Brille ausschließlich in Räumen ohne Fettdunst in Gebrauch ist? Keine Antwort.
Auch warum die Menschen nicht aufhören können, sich die Lebensgrundlagen zu rauben und gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, bleibt ungeklärt und warum selbst Kollegen manchmal eine ganz andere Meinung zu politischen Vorgängen entwickeln, obwohl sie über die gleichen Fakten und Quellen verfügen.
Obwohl wir uns redlich bemühen, all dies aufzuklären, müssen wir leider einstweilen sogar noch eine Frage hinzufügen: Warum sagt man bei all diesen Seltsamkeiten: »Das kommt mir Spanisch vor«? Denn das Spanische ist eine vergleichsweise simple Angelegenheit im Vergleich zum Baskischen. Das, so ist in dieser Ausgabe zu lesen, verfügt allein über mehr als 1000 Verbformen!
Beim nächsten Gespräch an der Küchenzeile wird es daher heißen: »Das kommt mir Baskisch vor.« So viel ist sicher.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.