Ausnahmezustand im Ausgehviertel
»Die Leute haben versucht zu entkommen:« Wie Augenzeugen den neuerlichen Terroranschlag in London erlebten
London. Es ist Samstagabend, zahlreiche Touristen und Nachtschwärmer sind auf der London Bridge und im angrenzenden Kneipenviertel rund um den Borough Market unterwegs, als die Partystimmung abrupt in Horror umschlägt. Ein weißer Lieferwagen rast gegen 22.00 Uhr auf der belebten London Bridge auf einen Bürgersteig in die Menschenmenge. Drei Männer steigen aus und setzen ihren Angriff mit Messern fort. Der Terror dauert wenige, ewige Minuten, mindestens sieben Menschen sterben, Dutzende weitere werden verletzt. Dann erschießen Polizisten die drei Angreifer.
»Ich habe diesen Transporter gesehen, der nach links und rechts fuhr, nach links und rechts, um so viele Leute zu erwischen wie möglich«, schildert Augenzeuge Alessandro später dem Sender BBC. »Die Leute haben versucht zu entkommen.« Mit hoher Geschwindigkeit fährt der Wagen - etwa 80 Stundenkilometer schnell, schätzt BBC-Reporterin Holly Jones, die zufällig am Tatort ist.
Der Lieferwagen kommt schließlich laut einer weiteren Augenzeugin am Geländer der Brücke zum Stehen, anschließend sei ein Mann mit einem Messer herausgekommen und in Richtung einer nahe gelegenen Bar gerannt. Mehrere weitere Zeugen berichten von einem oder gar mehreren mit Messern bewaffneten Männern, die nahe dem Borough Market wahllos Menschen angegriffen hätten. Am Ende werden drei Angreifer erschossen. Wie auf Fotos zu sehen ist, hatten sie sich wie Actionhelden gekleidet - mit falschen Sprengstoffwesten.
»Ein Koch mit Blut auf der Schulter hat mir erzählt, dass drei Leute sein Restaurant mit Messern und Macheten angegriffen haben«, berichtet Anwohner Gerard Kavanar. Das Ehepaar Ben und Natalie stand vor dem Lebensmittelmarkt Borough Market nahe der Brücke: »Wir haben Leute wegrennen sehen, und dann habe ich einen rot gekleideten Mann mit einer langen Klinge - schätzungsweise 30 Zentimeter lang - gesehen, der mehrmals auf einen Mann eingestochen hat«, schildert Ben dem Sender BBC die Lage. Das Opfer sei zu Boden gesunken. »Dann haben wir drei Schüsse gehört und sind gerannt.«
Augenzeuge Eric glaubt zunächst noch, die drei Männer aus dem Kleinbus wollten den Verletzten auf der Brücke helfen. Doch dann fangen sie an, die Opfer »zu treten, zu schlagen, dann zogen sie ihre Messer. Das war ein Amoklauf«. Schließlich sei das Trio Richtung Borough Market gerannt - mit lautem Ruf »Das ist für Allah«.
Binnen kürzester Zeit herrscht in dem Ausgehviertel Ausnahmezustand. Polizeiautos rasen mit heulenden Sirenen vorbei, Straßen werden gesperrt, in der Luft kreisen zwei Polizeihubschrauber. Auf der Themse nahe der London Bridge liegt ein Polizeiboot und sucht das Wasser mit Scheinwerfern ab.
In den Bars und Restaurants rufen Polizisten die Besucher auf, sich so gut es geht zu schützen. Freunde stützen sich gegenseitig, viele weinen, während Beamte rufen, sie sollen rennen. Nach dem ersten Notruf dauert die Hölle weitere acht Minuten - dann sind die Angreifer tot.
Bei den Bewohnern Londons wecken die Vorfälle düstere Erinnerungen: Am 22. März war ein Angreifer auf der Westminster Bridge in eine Menschenmenge gerast, vier Menschen starben. Anschließend erstach der Mann vor dem Parlamentsgebäude einen Polizisten, bevor er erschossen wurde.
»Es ist furchtbar, dass sich das so schnell wiederholt und dass solche Vorfälle so häufig geworden sind«, sagt der 23-jährige Londoner Jacob Chick nahe der London Bridge. In seiner Nähe ringt die 17-jährige Schülerin Nicola Bea Corkhill um Fassung. Einer der Angreifer jagte auch ihren Freund Nicolas mit dem Messer, ließ aber plötzlich von ihm ab.
Beas Tante war am 22. Mai auf dem Konzert von US-Popstar Ariana Grande in Manchester, an dessen Ende ein islamistischer Selbstmordattentäter 22 Besucher tötete. Für Sonntag hatte Grande ein Benefizkonzert in Manchester angekündigt, unzählige Stars wollten teilnehmen. Trotz des neuerlichen Anschlags sollte es nach dem Willen der jungen Sängerin und ihres Managers dabei bleiben.
AFP/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.