Die nächste Abhängigkeit
Die venezolanische Regierung setzt im Süden des Landes auf umstrittene Bergbauprojekte
Ohne Erdöl läuft in Venezuela nicht viel. Seit fast 100 Jahren schon steht die Wirtschaft des südamerikanischen Landes im Zeichen des fossilen Energieträgers. Pläne, die Ökonomie zu diversifizieren sind immer wieder gescheitert, zuletzt unter der Präsidentschaft des linksgerichteten Präsidenten Hugo Chávez (1999 bis 2013). Dass Venezuela aktuell unter Versorgungsengpässen leidet und seit ein paar Jahren immer tiefer in die Krise schlittert, hat zu einem guten Teil mit den ab Ende 2014 eingebrochenen Erdölpreisen zu tun. Um kurzfristig die Einnahmesituation zu verbessern, verfolgt die Regierung vor allem ein Ziel: die massive Ausweitung des Bergbaus, der bisher nur geringe wirtschaftliche Bedeutung hat.
Venezuelas Neuausrichtung brachte der amtierende Präsident Nicolás Maduro am 24. Februar 2016 per Dekret auf den Weg: Damit wurde die »Nationale Strategische Entwicklungszone des Minenbogens des Orinokos« im Süden des Landes geschaffen. Das ökologisch sensible Gebiet, das etwa acht Millionen Hektar Waldfläche und 70 Prozent der Süßwasserquellen Venezuelas umfasst, entspricht etwa zwölf Prozent der Landesfläche. Hier lagern bedeutende Vorkommen an Gold, Kupfer, Diamanten, Eisen, Bauxit und Coltan, deren Gesamtwert die Regierung auf zwei Billionen US-Dollar schätzt. Das Dekret ermöglicht es, Sonderregeln für Unternehmen zu schaffen, darunter Vorzugsbehandlungen in den Bereichen Steuern, Bürokratie, Importe und Zölle. Erklärtes Ziel der Regierung ist es, durch einen »umweltverträglichen Bergbau« zur wirtschaftlichen, produktiven und sozialen Entwicklung des Landes beizutragen.
»Die neue Bergbaupolitik ist zutiefst souverän, ökologisch und folgt einer Vision der integralen Entwicklung«, frohlockte Maduro im August vergangenen Jahres anlässlich privater Investitionszusagen von insgesamt zehn Milliarden US-Dollar.
Laut offiziellen Angaben wollen sich 150 Unternehmen aus 35 Ländern beteiligen, darunter viele transnationale Unternehmen wie die kanadischen Gold Reserve oder Barrick International. Sie müssen Joint Ventures eingehen, an denen der venezolanische Staat jeweils 55 Prozent hält. Zudem mischt das Militär über die im Februar 2016 neu gegründete Gesellschaft Camimpeg auch im Bergbau mit. 60 Prozent der staatlichen Einnahmen sollen in Sozialprogramme fließen.
Doch die Pläne sind umstritten. Ein Zusammenschluss kritischer Akademiker, Aktivisten und Ex-Minister unter Chávez spricht von einem »Ökozid«. Auch umweltpolitische und indigene Gruppen sowie die rechte Opposition lehnen die geplanten Minenaktivitäten und den Begriff »umweltverträglicher Bergbau« ab. Sie kritisieren unter anderem, dass eine laut Verfassung vorgeschriebene Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudie bisher nicht durchgeführt wurde und die in dem Gebiet lebenden indigenen Gruppen nicht konsultiert worden seien. Sollten die Bergbaupläne umgesetzt werden, erwarten die Kritiker eine teilweise Entwaldung, hohen Wasserverbrauch und massive Wasserverschmutzung. Zudem schreibe der Bergbau die Abhängigkeit von Rohstoffen und dem Kapital transnationaler Unternehmen fort.
Der Jurist Freddy Gutiérrez etwa, der die Verfassung von 1999 mit ausgearbeitet hat, sieht in dem Dekret einen klaren Verfassungsbruch. »Mit dem Minenbogen wird ein Staat im Staate geschaffen, mit seinen eigenen Regeln.« Dem widerspricht Jorge Arreaza, Minister für ökologischen Bergbau. »Wir werden höchstens fünf Prozent des Gebietes erschließen«, betonte er erst im April dieses Jahres. Der Staat werde umweltverträgliche Regeln durchsetzen, wo der illegale Bergbau durch die Verwendung giftiger Chemikalien bisher immensen Schaden angerichtet habe. Ungeachtet der Kritik begann bereits im September vergangenen Jahres die Explorationsphase. In den vergangenen Wochen ging aus kleineren Projekten bereits die erste Tonne Gold bei der venezolanischen Zentralbank ein.
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